Treffen auf dem Zentralfriedhof

„Hey, DER ist berühmt!“ Ich hätte mit dem Mann mit den schwarzen Locken und dem schwarzen Umhang nichts anfangen können, aber zum Glück hatte meine Begleitung ihn direkt gespottet.

Chiles wichtigster Singer / Songwriter steht vor uns, Manuel García, mitten auf dem Zentralfriedhof von Santiago. Weiter hinten Politprominenz, sogar ein ehemaliger Präsident Chiles ist dabei. Wir sind in eine Gedenkveranstaltung für Tucapel Jimenez geraten, einen Gewerkschaftsführer, der vor 31 Jahren von Pinochets Schergen ermordet worden war. Tucapel hatte sich damals als Taxifahrer etwas dazuverdient. Eines Tages dann waren ein paar Männer in sein Taxi eingestiegen und mit ihm eine relativ lange Strecke gefahren. Als sie aus dem Taxi ausstiegen, war Tucapel tot.

Manuel García wartet hinter ein paar Grabsteinen auf seinen ersten Auftritt bei der Gedenkveranstaltung. Dann beginnt er mit seinem Lied „Témpera“:

Difícil pensar sin hablar
difícil hacerse un lugar en los labios,
al toro si no es por los cuernos,
difícil llevarlo arrastrando al infierno.

„Nicht nur auf symbolischer Ebene ist das wichtig, sondern auch in Bezug auf die politische und soziale Situation des Landes,“ erklärt er seinen ungewöhnlichen Auftritt. „Trotz all der Jahre erleiden wir immer noch die Konsequenzen einer sehr schlimmen Diktatur, und es sind immer noch viele Fragen offen. Eine Menge Dinge sind noch nicht geklärt, nicht nur im politischen Rahmen sondern auch in Bezug auf Menschenrechte.“

Difícil tocar la guitarra
si el papel mural se desprende por nada
difícil hacer el amor
sin sentir que nos agarramos de una tabla,
si la vida es como un naufragio
que sea feliz el que pase remando…

Angehörige von Tucapel geben Zeugnis über die Diktaturzeit ab, reden über noch nicht verheilte Wunden und ungesühnte Verbrechen. Reden aber auch von einem Neuanfang, von Hoffnung. Bewegende Erinnerungen daran, dass sich dieses Jahr zum 40. Mal der Putsch Pinochets gegen Allende jährt.

Unter den Teilnehmern an jenem Morgen ist auch die Witwe des Sängers Víctor Jara. Einen Tag nach dem Putsch nahmen ihn die Militärs fest. Als erstes brachen sie ihm die Hände, damit er niemals wieder Gitarre spielen würde. Dann forderten sie ihn auf, zu singen. Während er zum letzten Mal seine Stimme erhob, durchsiebten ihn die Kugeln eines Maschinengewehrs. 44 Einschüsse zählte man später in seinem geschundenen Leichnam.

Manuel García kommt noch einmal zurück auf die Bühne, alleine mit seiner Gitarre. Und spielt „Gangrejo azul“:

El mar se va enojar
se va a comer su pez
las piedras va a morder
con rabia hasta el final
no quedará un volcán
ni un pájaro esta vez

Nach einem Moment der Stille schließt er die Veranstaltung mit „Viejo Comunista“. Die Menge zerstreut sich schweigend:

Un viejo que fuera comunista
se sienta a fumar la tarde entera.
Mientras buena lluvia cae afuera
con voz desnuda el viejo piensa…

Fotos: Thomas Milz