Sechín und die Schrecken einer Schlacht

Eines der eindrucksvollsten Monumente peruanischer Geschichte ist gleichzeitig das älteste: der Tempel von Sechín, der vor den Toren der kleinen und wenig aufregenden Stadt Casma liegt. Abgesehen von den vielen Baumwollfeldern rund um Casma gibt es dort wenig zu sehen und doch beherbergt die Umgebung ein wahres Geheimnis. Ein Geheimnis, das im Gegensatz zu anderen historischen Monumenten schwer zu entdecken war und gerade mal den Einheimischen unter dem Namen la huaca del indio bravo (Der Tempel des tapferen Indios) bekannt war.

Der Tempel, den er ausgrub und der heute aufgrund fehlender Mittel und zu seiner Erhaltung teilweise wieder eingegraben wurde, datiert um 1500 v. Chr, die ältesten Teile sogar um 1800 v. Chr., andere um 1400 v. Chr. Sicher ist, dass es sich um eine der ältesten Strukturen handelt, die auf dem südamerikanischen Kontinent gefunden wurde.

Zur Besichtigung der Anlage wird der Besucher über eine Treppe in die Höhe geschickt und kann so den Tempel von oben betrachten. Das große Erdbeben von 1970, das vor allem das enge Tal von Huaylas erschütterte und dort viele tausend Menschen tötete, ließ auch den Hügel, den wir jetzt mühsam in der morgendlichen Hitze erklimmen über den Ruinen zusammenbrechen, der diese unter sich begrub. Doch zu dieser Zeit besaß der Ort bereits eine so große Bedeutung, dass umgehend Gelder aus dem Rettungsfond freigemacht und dem Projekt zugeführt wurden. Von oben sieht man sehr schön die U-Form der ältesten peruanischen Tempel. Allerdings sieht man auch wenig mehr. Die grau-sandigfarbenen Ruinen heben sich kaum von der Umgebung ab und sind auf den ersten Blick wenig spektakulär.

Das ändert sich allerdings, wenn man dem Rundgang folgend an der Ruine selbst ankommt. Die äußere Mauer des Tempels ist nämlich mit Bildern einer furchtbaren Schlacht übersäht. Zwei Heere scheinen von links und rechts des Haupttors aufeinander zu prallen und sich dabei grausam zu bekriegen. Die geschminkten Gesichter einiger Krieger, ihr langer, spitz zulaufender Daumennagel, ihre Kleidung wirken fremdartig, beinahe außerirdisch und Angst einflößend. Ihre Gesichtszüge erscheinen so hart wie der Stein, in den sie graviert sind. Sie wirken entschlossen, brutal und scheinen kein Mitleid zu kennen. Unaufhaltsam marschieren sie weiter mit gefletschten Zähnen, trotz dem, was um sie herum geschieht.

Zwischen diesen wenigen Kriegern oder Priestern liegen Hunderte von toten Menschen. Zumeist nur deren Köpfe, aus denen Blut wie Wasser fließt, die an einer Stelle des Reliefs zu einem Haufen aufgeschichtet sind und alle mit demselben traurigen Gesichtsausdruck der Verwesung überlassen wurden.

Am unteren Ende der Mauern findet man bei genauer Betrachtung andere grausige Details: Innereien, Knochen, Augen, ein Rückrad. Ein besonders schauriges Bild zeigt einen Menschen, dem statt eines Unterleibes die Gedärme aus dem Körper hängen. Sein Gesicht spricht von dem Schrecken seines Schmerzes und von dem Leid, was er durchleben muss. Man weiß nicht recht, ob der Mensch noch lebt oder ob er gerade in Agonie stirbt, aber man kann erahnen, was er Furchtbares durchlebt und es bleibt einem nur, den Blick vor soviel Leid abzuwenden. Die Bedeutung dieser Bilder ist nach wie vor unklar. Sicherlich ist es kein Denkmal für die Schrecken des Krieges, so wie es etwa das Bild „Guernica“ von Picasso ist. Hier wird lediglich in brutaler Weise verdeutlicht, was bei einer Schlacht übrigbleibt. Allerdings werden auch die damaligen Stammesführer wenig darauf geachtet haben.

Ein paar kuriose Details seien hier noch vermerkt. Außer den „Priesterkriegern“ gibt es nur geschlachtete menschliche Körper. Einfache und noch lebende Soldaten sind nicht zu sehen. Ebenso sind es in großer Mehrzahl abgeschlagene Köpfe, die hier in den Stein eingraviert wurden. Körper findet man fast gar nicht, Beine und Arme dagegen etwas häufiger.

Von dem Tempel kann man heute nur die Außenmauern mit den schrecklichen und rätselhaften Abbildungen der Schlacht besuchen. In seinem Innern befinden sich noch zwei ältere Gebäude aus konisch geformten Lehmziegeln, die von außen bemalt sind.

Die schönsten Malereien sind gesichert und wieder mit Sand bedeckt worden, da das Geld fehlt, um sie auf andere Art und Weise zu erhalten. Die mangelhafte Finanzierung ist auch der Grund dafür, dass das Innere des Tempels nicht besucht werden kann. Reproduktionen der herrlich farbenfrohen Fresken sind jedoch im Museum vor Ort zu sehen.

Aus den Abbildungen des Reliefs hat der deutsche Archäologe Henning Bischof einen Meereskult abgeleitet. Er stützt sich dabei auch auf die Aussagen eines Schamanen, von denen J.C. Tello im Jahre 1923 berichtet.

Da das Klima in Sechín selber äußerst trocken ist, liefern die Flüsse, wenn es im Hochland nicht regnet, kein Wasser. Niederschläge an der Küste sind so selten, dass Oberlichter in Häusern häufig nicht mit Glas, sondern mit einem Moskitonetz verschlossen sind. Also suchte besagter Schamane, um den Gott Wari um Regen zu bitten, eine Stelle, wo das Meer besonders wild war. Dort, wo das Wasser schaumig gegen die Felsen schlug, füllte er einen Behälter mit Meerwasser. Mit diesem Behälter stieg er nun in die Berge, brüllend wie eine Raubkatze und hier und da einige Spritzer von dem Wasser vergießend, von dem er an jeder Quelle, die er passierte, eine kleine Menge hinterließ.

Sobald der Schamane an dem See ankam, an dem Wari wohnt, versenkte er den Krug langsam in dessen Wasser, bis diesem schwarze Wolken entstiegen. Diese zeigten das drohende Unwetter an, das die neue Regenzeit einläutete und den erhofften Regen bringen würde.

Interessant ist auch eine vergleichende Arbeit des Peruaners Fernando Llosa Porras, der die Funde von Sechín mit denen in China in Verbindung setzt. Er will Ähnlichkeiten mit dem I-Ching festgestellt haben und in einigen Bildern alte chinesische Sagengestalten wieder erkennen.

Beeindruckt vom Gesehenen laufen wir die Straße an Feldern entlang zurück. An einem Baum sehen wir einen „Blumenstecher“, wie wörtlich übersetzt die Kolibris in Peru heißen. Auf dem Feld arbeiten Bauern. Dank der uralten Bewässerungssysteme, die eine Art Markenzeichen aller peruanischen Kulturen sind, und der tropischen Temperaturen wächst hier beinahe alles.

Trotz der angenehmen Umgebung, den herrlichen Wassermelonen, die wir unterwegs kaufen, bleiben wir nachdenklich. Die verstümmelten Gestalten schwirren weiter in unseren Köpfen herum und irgendwie will die Hoffnung nicht weichen, dass es auch schon vor 3500 Jahren Menschen gegeben hat, die den Krieg verdammten.

Fotos: Nil Thraby