Schao, schao

Es ist schon verflixt. Da fliegt man mal eben 13.000 Kilometer in Richtung Südhalbkugel, landet, verbringt eine unruhige Nacht in einem schrägen Hotel, steigt erneut in den Flieger und ist nach weiteren 1.700 Kilometern in der unargentinschsten Stadt Argentiniens: San Carlos de Bariloche. Ich lache ja noch immer recht gern, wenn mir Leute erzählen, sie kämen gerade von einer langen Südamerikareise zurück, offenbaren jedoch auf Nachfrage, dass sie „nur“ in Argentinien gewesen seien – dem bzgl. Einwanderungswellen europäischsten Land des südamerikanischen Kontinents.

Und obwohl man genau weiß, dass das Land am Rio de la Plata fest in Händen spanischer und italienischer Nachkommen ist, könnte der unbedarfte Tourist beim Anblick Bariloches tatsächlich vom Glauben abfallen. Das hier ist weder Spanien noch Italien, sondern die von den Argentiniern liebevoll „Argentinische Schweiz“ getaufte Gegend. Sie sieht nicht nur eidgenössisch aus, einige der Eidgenossen haben hier auch Spuren hinterlassen. Das macht durchaus Sinn, denn der patagonische Abschnitt in der Provinz Rio Negro mutet an wie ein Stück Schweizer Heimat. Berg, Schnee, See – reichlich Möglichkeiten also, um einsam durch die Natur zu streifen.

Schon die Fahrt vom Flughafen in die Stadt ist ein Erlebnis. Ein Konglomerat an architektonischen Widerlichkeiten, so dass man – die teutonische Herkunft nicht abschütteln könnend – unweigerlich an das heimische Bauamt denkt. „So können Sie aber hier nicht bauen, mein Herr“, hört man den Beamten im Kopf sagen, nein, schreien. Hier konnten sie es jedenfalls doch. Giebel in alle Himmelsrichtungen, mal Holz, mal Blech, mal Eisen in Verwendung und sogar Gartenzwerge dürfen im patagonischen Vorgarten herumtollen. Die argentinischen Schweizer schrecken wirklich vor nichts zurück.

Die absolute Krönung aber haben sich die Bewohner Bariloches für ihren Hauptplatz aufgehoben. Wer nämlich auf dem Weg zum Schiffchenfahren auf dem wunderschönen See Nahuel Huapi schlendert und genau da vorbeikommt, wird sich verwundert die Augen reiben. Da begrüßt einen doch tatsächlich ein dicker Bernhardiner. Und weil‘s möglichst stilecht sein soll, fehlt auch das Fässchen um den mächtigen Hals nicht – vermutlich allerdings ohne Schnaps. Denn auf der Plaza vor dem Rathaus im Almhüttenstil sollte selbst bei heftigem Schneefall niemand verschüttet werden.

Ist dann noch Zeit, wagt man sich am besten durch die kleine Haupteinkaufsstraße. Dort jagt ein Schoko-Tempel den nächsten. Und wenn nicht gerade Japanar versuchen, die Schweizer Schocki in rauen Mengen zu erwerben, dann stehen Rucksacktouristen am Probiertopf Schlange, um ein bisschen was von der braunen Kakaomelasse zu erhaschen. Wer anschließend noch Geld für eine Übernachtung übrig hat, der fährt zum „Schao Schao“, unweit Bariloches, auf einer kleinen Anhöhe liegend, von der aus sich ein wunderbarer Blick auf den See  bietet. Das hier ansässige Llao Llao-Hotel gehört zum Luxussegment und ist sogar für diejenigen, die sich dort keine Nacht leisten können, einen Abstecher wert. Die argentinische Schweiz zeigt sich schon auf dem Weg dorthin von ihrer besten Seite: Sanfte Hügel, je nach Jahreszeit in weiß oder grün, im Hintergrund die Bergkuppen Otto, López und Cathedral und immer wieder architektonische Meisterleistungen, so dass man sich gedanklich gar nicht entscheiden kann, ob man jetzt österreichische Almhütte oder schweizer Chalet vor sich hat.

Letzten Endes ist das alles aber gar nicht wichtig. Man kann in Bariloche vortrefflich die Natur genießen. Und da interessiert es doch fast gar nicht, ob man in Lateinamerika ist oder nicht. Und wer tatsächlich schon mal in Bariloche war, der kann es kaum fassen, dass einer der Gründerväter tatsächlich deutscher Abstammung gewesen sein soll…

Fotos: Andreas Dauerer