Penthouse mit Pool für den Drogenboss

La Paz – Schon an den schweren Gittern des Eingangstors stehen Trauben von Gefangenen, die schreien und rufen, wenn ein Tourist das Gefängnis San Pedro in La Paz, der Hauptstadt Boliviens, betritt. Sie betteln darum, die Gäste für ein bisschen Geld durch den Knast zu führen. Hier ist jeder für sein eigenes Überleben zuständig. Alles kostet Geld. Selbst der Schlafplatz in einem fensterlosen, feuchten Verschlag ist nicht unter 50 Dollar im Monat zu haben – viel Geld in einem Land, wo das Jahreseinkommen im Schnitt 200 Dollar beträgt.

Wer das Eingangstor passiert hat, ist erstaunt: Auf den ersten Blick sieht nichts nach einem Gefängnis aus. Auf einer kleinen Plaza vor der Kirche sitzen Marktfrauen, ein Kind spielt im Staub und Hunde schnüffeln im Abfall. Auffallend ist nur, dass ungewöhnlich viele Männer zu sehen sind, die gelangweilt auf einer kleinen Mauer sitzen oder eine der engen Gassen entlang schlendern.

Das Gefängnis ist so groß wie ein Straßenblock, umschlossen von einer zehn Meter hohen Mauer. Was dahinter passiert, interessiert nur diejenigen, die hier leben – und die neugierigen Touristen. Rund 1700 Menschen bilden diesen Mikrokosmos der bolivianischen Gesellschaft, eine Stadt in der Stadt, die ihren eigenen, erbarmungslosen Gesetzen folgt. „Alles kostet hier Geld. Wenn du richtig essen willst, brauchst du Geld. Wenn du unter einem Dach schlafen willst, dann musst du dafür bezahlen. Und wenn du duschen willst, dann auch“, erzählt Thomas McFadden, genannt Tommy.

Der gebürtige Brite wurde 1995 in Bolivien bei dem Versuch erwischt, fünf Kilo Kokain zu schmuggeln. Ein bolivianisches Gericht verurteilte ihn zu vier Jahren und acht Monaten Haft im Gefängnis San Pedro. Nur wenige Tage nach seinem Haftantritt merkte er, was es heißt, kein Geld zu haben. Er wurde schwer krank, hustete Blut, doch der Gefängnisarzt verweigerte die Behandlung, denn Tommy konnte ihn nicht bezahlen. Nur weil ihm ein anderer Häftling einen Kredit gab, überlebte er. Jetzt, wieder in Freiheit, schrieb er seine Erlebnisse auf („Marching Powder“, mit Rusty Young, MacMillan, London). Er ist in San Pedro geblieben und führt Touristen durch das Gefängnis.

Hinter der Plaza beginnt ein Gewirr enger, schmutziger Gassen, in die selten ein Sonnestrahl fällt. Viele Gefangene können es sich nicht leisten, doppelt zu zahlen: hier drinnen im Gefängnis und draußen für ihre Familien. Also bringen sie ihre Familien gleich mit. Rund 200 Frauen und Kinder leben hier.

Vor Schmutz starrende Mädchen und Jungen spielen in den Rinnsalen, die durch die Gassen fließen. Die Vergehen, derer sich ihre Väter oder auch die hier einsitzenden Vierzehnjährigen schuldig gemacht haben, sind in vielen Fällen geringfügig, etwa Diebstahl oder Betrug. Nur wer kann sich schon einen guten Verteidiger leisten?

Die Staatsmacht sucht man in San Pedro vergeblich. Nur an dem vergitterten Eingangstor stehen ein paar Wärter, die Passanten kontrollieren. Angehörige, Marktfrauen und manchmal auch Touristen warten vor dem Tor. Auch diese Wärter halten die Hand auf, wenn Touristen, Händler oder Angehörige den Eingang passieren wollen. Und wenn ein Gefangener für einen Außenstehenden einen Botengang erledigt, verdient das Gefängnispersonal mit. So wie auch beim Zimmerverkauf.

Nicht allen Gefangenen in San Pedro geht es schlecht. Wer Geld hat, kann sich in San Pedro einen Raum kaufen und dabei unter Zimmern in Kategorien von einem bis zu fünf Sternen wählen. Jeder Stern kostet 1000 Dollar. Manche Zimmer haben einen Balkon, andere eine kleine Küche oder sogar eine Dusche. Verkauft werden die Räume von den Vorbesitzern, die die Hälfte des Preises an die Gefängnisleitung abführen müssen. Die Fünf-Sterne-Zimmer liegen in einem etwas heruntergekommenen Gebäude im Kolonialstil mit einem großen Innenhof. Unten befindet sich der Eingang zu einem Billardcafé, im Hof stehen die Tische kleiner Restaurants.

Mit Kapital und Geschäftssinn kann man es in San Pedro durchaus zu etwas bringen. Die Restaurants, das Billardcafé und einige kleine Läden gehören Gefangenen. Wer kein Geld für eine Existenzgründung hat, sucht sich eine Anstellung in einem der Läden oder verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Dienstleistungen jeder Art. „Hemden waschen und bügeln für fünf Bolivianos“ preist ein Schild an. Etliche Gefangene verdingen sich als Leibwächter der Mächtigen – das Territorium im Gefängnis ist eng abgesteckt. Das meiste aber dürfte durch Drogenhandel verdient werden, denn Drogen gibt es hier genauso wie Waffen oder das angeblich beste chinesische Essen der Stadt.

„Das ist der Abfluss des Pools von Barbachoca“, erklärt Tommy und zeigt auf ein überraschend modernes Rohr.

Der Drogenbaron, in dessen Flugzeug vier Tonnen Kokain gefunden wurden, ließ für sich und seine Familie im Gefängnis San Pedro ein Penthouse auf einem der Gebäude bauen. Hier thront er mit eigens mitgebrachtem Personal hoch über den elenden Gassen und führt via Internet seine Geschäfte weiter.

Doch so frei sich die Gefangenen in San Pedro auch bewegen können, am vergitterten Tor ist ihre Welt zu Ende, und die Mauer ist unüberwindlich – Leitern sind so ziemlich das Einzige, was in San Pedro wirklich verboten ist.