Macht ist immer korrupt! (12/2009)

Die venezolanische Band Desorden Público gehört zum Urgestein der lateinamerikanischen Ska-Bands. Torsten Eßer hat sie anläßlich ihrer letzten Tour im MTC in Köln getroffen und mit ihnen über Musik und Politik in Venezuela gesprochen.

Desorden Público
Estrellas de Caos
Leech Reco (Cargo Records)

Ihr spielt seit 1985 zusammen. Wie erklärst Du Dir, dass ihr im Gegensatz zu anderen Bands aus jener Zeit wie Sentimiento Muerto oder Zapato3 noch aktiv seid?
Horacio Blanco (Sänger): Wir sind halt gute Freunde und wußten immer, wie wir unsere Egos dosieren mußten, auch gerade in guten Momenten, denn dann ist es manchmal besonders schwer. Wir können uns auch gar nicht vorstellen, die Band aufzulösen. Sie ist Teil unseres Lebens.

Warum habt Ihr Euch für Ska entschieden?
Schon in der ersten Show, am 27. Juli 1985, gab es zwischen den Punkstücken einen Ska-Titel. Ein Jahr später sind wir dann ganz auf Ska umgeschwenkt. Das wollten wir machen und durch den Einfluß des Two-Tone-Labels aus London haben wir dann auch unser Aussehen, die Anzüge etc., an den Ska angepasst.

Welche Bedeutung hat für Euch die traditionelle venezolanische Musik?
Wir benutzen keine traditionelle Musik, aber was wir viel nutzen, ist populäre venezolanische Musik. Wir kommen aus Caracas, der chaotischsten und lautesten Stadt der Karibik und sind somit von urbaner Musik beeinflusst: d.h. Salsa, Boogaloo, Merengue, Cumbia usw. Und weil man mit diesen seit der Kindheit beschallt wird, sind sie auch Teil unserer Musik.

Ihr benutzt nie traditionelle Instrumente?
Nur sehr punktuell, sie sind kein Bestandteil unseres Sounds.

Wird ein Stück wie „Politicos paralíticos“ heute im venezolanischen Rundfunk gespielt?
Ja, das geht schon, aber nur in alternativen Radiostationen. Die staatlichen Sender spielen so etwas nicht in ihrer Rotation.

Ich kam auf die Frage, weil Hugo Chávez gerade 34 Radio- und Fernsehstationen hat schließen lassen und weitere folgen könnten. Und da dachte ich mir, dass Desorden Público für ihn sicher zu kritisch sind…
Ja, das könnte sein. Wir waren immer eine sehr kritische Band, all die Jahre. Ein wichtiger Teil des rebellischen und jugendhaften Wesens, das sich die Band über die Jahre bewahrt hat, ist es, die Macht zu kritisieren. Die Macht mißbraucht immer und sie ist immer korrupt und in Ländern wie Venezuela ist die Korruption ein schwerwiegendes Problem. Und diese Regierung bildet da keine Ausnahme.

Chávez ist also nicht die Zukunft?
Nein!

Hat politische Musik in Venezuela heute noch eine Bedeutung, etwa wie zu Zeiten der Liedermacher um Ali Primera?
Der Kontext ist anders. Zu ihrer Zeit hatten die Liedermacher ihre Berechtigung. Ali Primera und andere glaubten an die kubanische Revolution, an eine sozialistische Revolution in ganz Lateinamerika. Die meisten Künstler und Intellektuellen wohl auch. Dieser sozialistische Traum hat sich nicht erfüllt, aber sich in andere Sachen verwandelt. Heute ist es immer noch wichtig für bestimmte Dinge zu singen. Wir singen nicht mehr für eine Revolution, denn letztendlich zeigt die Geschichte, dass große Macht am Ende immer korrumpiert. Wir singen dafür, dass die Macht alltäglicher wird, sich an die Menschen annähert, dass es mehr Raum für die Kunst und Respekt für Minderheiten gibt. Das sind Gründe für uns Liedtexte zu schreiben.

Und die venezolanische Jugend teilt solche Ideen?
Ein Teil auf jeden Fall. Und momentan existiert ein Phänomen: egal, was man von diesem Präsidenten hält, auf jeden Fall hat sich die ganze Gesellschaft erheblich politisiert und mit ihr auch die Jugend. In den 90ern war die Jugend an Politik total desinteressiert, heute hingegen spricht jeder über Politik, jeder vertritt eine Position. Und egal, ob sie diesem Präsidenten folgen oder jemand anderem, das verdient Respekt.

Kommendes Jahr feiern Venezuela und andere Länder das 200. Jubiläum ihrer Befreiung. Sind die Ideen von Bolívar noch aktuell?
Natürlich, er war ein großer Denker, das ist unbestritten. Seine Ideen bleiben lebendig. Sowohl Regierung als auch Opposition in Venezuela, in Bolivien, in Kolumbien etc. nutzen seine Ideen. Chávez beispielsweise folgt Bolívars Ideen sehr strikt. Doch wie immer bei großen Ideen, adaptiert sie jeder auf seine Art.

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