Gesundheitspromotoren

Der Beruf des Landarztes ist in Deutschland unbeliebt. Zu viel Arbeit für zu wenig Geld. So gibt es in manchen Regionen nur wenige Ärzte und unter Umständen muss man lange warten, bis man dran kommt. Trotzdem ist die medizinische Versorgung bei uns gesichert. In Guatemala sieht das ganz anders aus. Dort gibt es ganze Landstriche, in denen nicht ein einziger Arzt zu finden ist. Um die Bevölkerung trotzdem medizinisch versorgen zu können, bildet eine Hilfsorganisation Laien zu Gesundheitspromotoren aus.

Es hat geregnet und das Feld gleicht einer Schlammwüste. Caralampio Peréz muss erst einmal den Lehm von den Schuhen streifen. Dann setzt er seinen ziemlich abgegriffenen Hut ab, zieht einen weißen Kittel über und hängt sich ein Stethoskop um den Hals. Nun erst bittet er eine junge Mutter mit ihrer zweijährigen Tochter in den kahlen Raum des „Hauses der Gesundheit“ von Santa Ana Huista. Die Kleine hat Durchfall. Caralampio horcht und klopft sie ab und fragt die Mutter, wann es anfing, nach der Konsistenz, was die Tochter gegessen hat und ob das Kind Schmerzen hat.

„Eigentlich bin ich Bauer. Ich bin nur bis zur fünften Klasse in die Schule gegangen. Damals war es mein Traum Medizin zu studieren. Aber dann kam der Bürgerkrieg und wir mussten fliehen und ich die Schule abbrechen“, sagt Caralampio. Trotzdem behandelt der 44jährige seit Jahren Patienten. Er kann nicht nur alle gängigen Krankheiten diagnostizieren, sondern den Patienten auch tatsächlich helfen. „Am häufigsten haben wir es mit Durchfallerkrankungen zu tun, mit Erkältungen und oft mit Gastritis. All diese Krankheiten können wir behandeln. Es kommt sehr selten vor, dass wir jemanden in die Stadt zu einem ausgebildeten Arzt schicken müssen.“

Auch Knochenbrüche zu richten, Schnittwunden zu nähen oder verstauchte Knöchel zu bandagieren ist für Caralampio kein Problem. Denn: Er ist zwar kein Arzt, aber Gesundheitspromotor. In der ländlichen Region Guatemalas ist die Infrastruktur schlecht. Es gibt keine richtigen Straßen, nur wenige Schulen und keine Ärzte. Die Landbevölkerung ist normalerweise von der medizinischen Versorgung abgeschnitten.

„Der Guatemaltekische Staat vernachlässigt die medizinische Grundversorgung. In den letzten Jahren ist die Gesundheitsversorgung immer mehr privatisiert worden. Das hat dazu geführt, dass es in den abgelegenen Gebieten kaum noch Ärzte gibt. Deshalb ist die Mehrheit der Guatemalteken von der medizinischen Versorgung ausgeschlossen“, berichtet Elisabeth Ibarra.

Sie leitet die guatemaltekische Organisation ACCSS, ist 62 Jahre alt und eine kleine, sehr lebendig wirkende Frau mit dunklen, kurzen Locken. Als Logo hat die Organisation eine Zeichnung der Göttin Ixel, die bei den Maya für Geburt und Gesundheit stand. ACCSS hat es sich zum Ziel gesetzt, auch in den abgelegenen Dörfern eine medizinische Grundversorgung zu schaffen. Ärzte, die lange studiert haben, sind dafür nicht zu gewinnen. Deshalb bildet ACCSS ansässige Dorfbewohner zu Gesundheitspromotoren aus. „Die Ausbildung ist sowohl theoretisch als auch praktisch. Es werden zum Beispiel Videos gezeigt. Besonders großen Wert legen wir auf den praktischen Unterricht. Da machen wir Rollenspiele, bei denen die Schüler abwechselnd Patient und Behandelnder sind. Und es stellen sich auch Menschen, die krank sind, zur Verfügung. Die werden dann unter der Aufsicht des ausbildenden Arztes von den Schülern untersucht.“

Diese Ausbildung dauert alles in allem drei Jahre. Alle zwei Monate kommen die zukünftigen Gesundheitspromotoren für 10 Tage zu Workshops zusammen. Dort lernen sie alles über die gängigen Krankheiten und typischen Verletzungen, die auf dem Land üblicherweise vorkommen. In der unterrichtsfreien Zeit assistieren sie daheim im örtlichen „Haus der Gesundheit“. Am Ende ihrer Ausbildung sind sie in der Lage, über 90 Prozent der Erkrankungen zu behandeln.

Und ist schon die allgemeinmedizinische Versorgung auf dem Land schlecht, so ist die zahnmedizinische außerhalb der Städte überhaupt nicht vorhanden. Deshalb bildet ACCSS auch Zahnpromotoren aus. Die Nachfrage nach jemandem, der bei Zahnschmerzen helfen kann, ist groß.

„Der Zahn tut mir schon seit zwei Monaten weh. Jetzt sind die Schmerzen unerträglich geworden, deshalb bin ich hergekommen“, erzählt Antonio Jimenez Monté. Er hat sich im Haus der Gesundheit von Santa Ana Huista auf dem Zahnarztstuhl nieder gelassen, lehnt sich zurück, öffnet den Mund und selbst für den absoluten Laien ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass es um das Gebiss des 63jährigen nicht allzu gut bestellt ist. Uri Esperanza Peréz macht erst einmal eine Bestandsaufnahme: Die Vorderzähne oben fehlen. Der Eckzahn rechts oben ist vorhanden. Die Backenzähne auf der rechten Seite fehlen alle. Uri Esperanza Peréz ist weder Zahnärztin noch Zahnarzthelferin, auch keine Studentin der Zahnmedizin. Die 23jährige hat lediglich die Grundschule besucht und hilft normalerweise ihrem Vater auf dem Feld. Ganz nebenbei ist sie Zahnpromotorin. „Ich habe zwei Jahre lang Workshops besucht. Dabei habe ich gelernt, wie Zahnreinigung und Füllungen gemacht werden. Wir sind immer für 20 Tage zu dem Workshop gefahren und waren dann wieder einen Monat zu Hause.“ Seither arbeitet Uri am Wochenende vormittags im Gesundheitszentrum von Santa Ana Huista. „Manchmal werde ich auch unter der Woche angerufen. Wenn ich Zeit habe, komme ich und behandle zwischendurch“, sagt sie.

Uri greift zum Bohrer und schleift die von Karies befallenen Stellen an einem der sechs verbliebenen Zähne von Antonio Jimenez Monté ab. Einen normalen Zahnarzt zu besuchen, das wäre für ihren Patient ein riesiger Aufwand und sehr teuer. „Hier in der Nähe gibt es sonst nichts. Wir müssten bis in den nächsten Ort laufen. Das dauert zu Fuß vier Stunden. Und hier müssen wir nur etwa die Hälfte von dem bezahlen, was die Behandlung normalerweise kosten würde“, erklärt Antonio Jimenez.

Die Behandlungen der Promotoren finden in der Casa de Salut, dem Haus der Gesundheit statt. Es ist denkbar schlicht eingerichtet. Ein paar Plastikstühle für die Wartenden, eine Liege. In einem Schrank lagern die rund 30 Medikamente, die den Promotoren zur Behandlung von Krankheiten zur Verfügung stehen. Neben dem Zahnarztstuhl befindet sich ein Kompressor, über den der Bohrer betrieben wird. Das ist schon echter Luxus: Vor ein paar Jahren musste noch jemand auf einem Fahrrad strampeln um über einen Dynamo die Energie für den Bohrer zu erzeugen. Finanziert wurde das Haus der Gesundheit mit Mitteln aus Deutschland. „Deutschland setzt sich ganz besonders für die Gesundheitsversorgung ein. Unser wichtigster Partner ist Medico International. Deren spezielles Anliegen ist die medizinische Versorgung verarmter Dörfer. Sie haben das gesamte Ausbildungsprogramm der Zahnpromotoren finanziert“, erzählt Elisabeth Ibarra.

Dank der Unterstützung aus dem Ausland gibt es in Guatemala heute 14 Häuser der Gesundheit, in denen über 80 Gesundheits- und Zahnpromotoren arbeiten. Alle Häuser befinden sich in abgelegenen Ecken des Landes, in denen es keine Ärzte gibt. Jedes einzelne Haus bietet rund 4.000 Menschen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Ist die Casa de Salut einmal gebaut und eingerichtet, muss sie sich finanziell selber tragen. „Deshalb berechnen die Promotoren geringe Gebühren. Damit werden Verbrauchsmaterialien wie Verbände und Medikamente angeschafft, das Haus der Gesundheit in Schuss gehalten und die Stromrechnung und die Infrastruktur wie zum Beispiel Telefonrechnungen bezahlt“, so Elisabeth Ibarra.

Trotzdem zahlen die Patienten nur rund die Hälfte dessen, was ein Arztbesuch normalerweise kosten würde. Außerdem sparen sie das Geld für die oft weiten Reisen in die nächste Stadt.

Um die Kosten für die Medikamente so gering wie möglich zu halten, setzt man in den Casas de Salut auf Heilpflanzen. „Jeder Casa de Salud ist ein Heilpflanzengarten angeschlossen. Gegen Schmerzen kann man entweder Acetylsalicylsäure kaufen oder aus Arnikablättern Umschläge machen. Das ist viel billiger. Und die Leute, die daran interessiert sind, können sich die Pflanzen mitnehmen und bei sich zu Hause anpflanzen“, erklärt Elisabeth.

Caralampio Perez hat seine Untersuchung inzwischen abgeschlossen. Seine Patientin Jaqueline hat nichts Schlimmes, nur einen einfachen Durchfall. Er empfiehlt ihr Pfefferminztee. Die Minzeblätter kann ihre Mutter Gladis Montejo gleich im Kräutergarten pflücken. Und einen Rat bekommt Sie auch noch: „Pass auf, dass Deine Tochter immer saubere Hände hat, wenn sie etwas isst. Und wasche die Früchte, bevor Du sie ihr zu Essen gibst.“ Gladis ist dankbar, denn sie hat einen weiten Weg und viel Geld gespart: „Es ist viel einfacher und günstiger, hier her zu kommen. Sonst müsste ich bis nach Santa Ana fahren, die Fahrtkosten bezahlen, dort etwas zu essen kaufen und außerdem die Medikamente.“

Caralampio Perez bekommt nichts für die Behandlung. Denn: Wie alle Promotoren arbeitet er ehrenamtlich. Allenfalls dann, wenn sie zur Erntezeit auf dem Feld ausfallen und deshalb Hilfskräfte anheuern müssen, erhalten sie deren Lohnkosten ersetzt. Aber Caralampio Perez wurde ja auch nicht Gesundheitspromotor, um damit reich zu werden. „Ich sehe doch, dass die Leute im Dorf Hilfe brauchen. Viele haben große Familien und nicht mal das nötige Geld für Kleidung und schon gar nicht für Medikamente. Wenn jemand krank ist, dann muss man ihm doch helfen, oder nicht? Ich helfe mit dem, was ich habe und das ist meine Zeit.“

Mit Zeit, Hilfsbereitschaft und Erfahrung machen Gesundheitspromotoren also genau das, was ihr Name dem lateinischen Ursprung nach verspricht: Sie bewegen Dinge und bringen ihr Land voran, damit es den Menschen besser geht.