Don Winslow – Zeit des Zorns (11/2012)

Mit einer Geschwindigkeit, die ihres gleichen sucht, treibt Don Winslow die Leser durch den 340 Seiten starken Roman. Die Zeilen rattern durchs‘ Hirn, das sich anfühlt wie Speedgepuscht. Er hat mich, spricht mich an, zieht mich in die Handlung mit ein. Zwischen den Zeilen ruft er mir entgegen: Soll ich dir die Charaktere immer wieder erklären oder hast dus’ endlich. Es gibt Seiten, die schaff ich in Sekunden. Zeigefinger und Daumen der rechten Hand wurden noch nie so beansprucht. Gefühlt liest sich der Roman in einem knappen Stündchen – was natürlich Blödsinn ist. Aber einen Gedanken zu fassen zum konsumierten Stoff, gelingt erst nach der Lektüre.

Zeit des Zorns

Autor: Robert Wilson
Taschenbuch: 640 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (1. März 2004)
ISBN-10: 3442456371 / ISBN-13: 978-3442456376

Kostprobe Kapitel 59-61:

59
[…]
Trotzdem…
Ihr wollt unser Marihuana-Unternehmen? Ihr könnt es haben.
Wir kommen nicht gegen euch an. Wir geben uns geschlagen. Hasta la.
Vaya con.
AMF.
(Adiós Motherfuckers.)

60
Alex wendet sich an Chon. „Was sagst du dazu?“
Oh Mann, komm schon.
Komm schoooon.
Wir wissen, was Chon dazu sagt.
Darüber haben wir bereits gesprochen.

61
Das ist seine baditude.
Die ihn glücklich macht.

62
[…]

Zwei super sympathische Superhirne kultivieren das weltfeinste Dope für jedwede Situation: Sex, Arbeit, Entspannung. Die Pharmaindustrie könnte mit Lizenzen der verschiedenen Mischungen den Weltfrieden herbeiführen.
Erstklassiges, unüberbietbar sicheres, gesundes, biologisch angebautes Spitzen-Hydro-Gras.

Ben und Chon lieben – ganz offen und schmerzfrei – O. O heißt O, weil sie ihren Namen (Ophelia) nicht mag und ohrenbetäubend kommt. Die beiden Superhirne führen ihr Unternehmen mit super innovativ betriebswirtschaftlichem Händchen. Ben finanziert damit Psychotherapeutische Kliniken für Vergewaltigungsopfer im Kongo, Chan, der im Krieg für sein Land getötet hat, erledigt – was Ben bewusst ausblendet – den minimalen gewaltunabdingbaren Anteil des Geschäftlichen.

Das Leben könnte schöner nicht sein, wenn sich nicht eines Tages das Baja-Kartell für den nordamerikanischen Marihuanamarkt interessieren würde. Sie entführen O. Ben zögert Chans Strategie des brutalen Gewalt-Erstschlags zu folgen. Schade! Denn radikalisieren muss er sich doch, worunter die Genialität der Roman-Figur leidet. Im gleichen Rhythmus flacht die Geschichte langsam aber stetig ab. Den bereits eingeführten charmant, gewieft, interessant, hart und durchgeknallt Charakteren aus Laguna Beach folgen nur noch schwache, dekadente, langweilige und brutal dumme aus Baja California – Bens und Chons Gegenspieler auf Seiten der Drogenkartelle.

Und mit dem Nachlassen der Superlative verschwinden zunehmend auch Sprachwitz und Überraschungseffekte. Die Wirkung des Speeds lässt nach und die Geschichte wird in unspektakulärer Fleißarbeit nach Hause gebracht.

Fazit: Leider bleibt mir die Genialität von Don Winslows Roman „Zeit des Zorns“ nach der letzten Seite kaum noch in Erinnerung. Den ersten Teil werde ich aus diesem Grund aber auf jeden Fall noch einmal lesen, denn er ist sprachlich und in seinen Gedankensprüngen unübertroffen kurzweilig interessant. Auch wenn ich gerade ein wenig die Schnauze voll habe, so freue ich mich in absehbarer Zeit doch schon auf die gerade auf Deutsch erschienene, zeitlich vorangestellte zornige Fortsetzung „Kings of cool“.

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