Wissenschaftliche Landschaftsmalerei und lebendige Naturbeschreibungen

Meerjungfrau, Lorelei und Najade spickten im 17. und 18. Jahrhundert die künstlerischen Darstellungen Lateinamerikas. Dieser Trend setzte sich teilweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fort, und einige der deutschen Reisenden in Venezuela ließen sich vom poetischen Realismus und etwas später von der symbolistischen Malerei inspirieren.

Frailejón an der Laguna Negra, Los Nevados, Venezuela
Frailejón an der Laguna Negra, Los Nevados, Venezuela

Als erster wirkte Alexander von Humboldt dieser Art der Darstellung von Fabelwesen und Amerika entgegen. Zunächst dienten die von Humboldt in den Tagebüchern seiner Amerikareise (1799-1804) gefertigten Randskizzen und Federzeichnungen als Vorlage für Illustrationen in der entsprechenden Fachliteratur. Später, Jahre nach seiner Rückkehr, formulierte er u.a. im „Kosmos“ für reisende Wissenschaftler und Maler klare Ziele und wie diese umzusetzen seien:

Humboldt wollte dem Betrachter im fernen Europa eine möglichst anschauliche Vorstellung der fremden Natur ermöglichen.

Für die Landschaftsmalerei entwarf er hierzu ein einfaches wissenschaftliches Konzept. Diesem entsprechend sollten Pflanzen nicht isoliert, sondern in ihrem Verhältnis zu anderen Pflanzen und integriert in ihre direkte Umwelt dargestellt werden. Er reduzierte die unendliche Vielfalt der Pflanzenwelt auf 17 Grundformen, auf welche alle anderen zurückgeführt werden konnten. Die Zunft der Landschaftsmaler bat er, ihr Augenmerk auf jene Pflanzen zu richten, die durch ihre Quantität den Charakter einer Zone bestimmten. Diese galt es dann einer der 17 und später 19 von Humboldt vorgeschlagenen Grundformen zuzuordnen und in den Vordergrund des Bildes zu rücken.

Auch die wissenschaftlich-literarischen Naturschilderungen waren Humboldt ein Anliegen. Ebenso wie die Malerei sollten sie das Interesse der Rezipienten für Gebiete fern der Heimat wecken. Seiner Meinung entsprechend konnte dies durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und dichterischer Lebendigkeit einer Landesbeschreibung geleistet werden. Künstler und Wissenschaftler, so Humboldt, müssten zur Erstellung eines Naturgesamtbildes Hand in Hand arbeiten.

Frailejones/ Epiletien waren begehrte Zeichenobjekte der Künstler, die die Anden bereisten. Das oberste Ziel beider müsse sein, den Leser bzw. Betrachter anzuregen die Liebe zum Studium der Natur zu vertiefen, die Sehnsucht nach wissenschaftlichen Reisen zu mehren und den Umgang mit der freien Natur als reizvoll zu erachten.

Kakteen-Landschaft bei Mérida, Anden Venezuela
Kakteen-Landschaft bei Mérida, Anden Venezuela

Speziell in den ersten 70 Jahren nach seiner Reise versuchten die Forscher seine Vorgaben umzusetzen. Sie entwarfen neben ihren rein wissenschaftlichen Werken solche, die (auch heute noch) spannend sind und zur Lektüre einladen. Vergleicht man die im Hinblick auf die humboldt‘ sche Zielsetzung verfassten „populär-wissenschaftlichen“ Werke des 19. Jahrhunderts mit aktuellen Reiseberichten, so wird klar, dass es bis zur Geburtsstunde der Zeitschrift caiman.de vor drei Monaten (12/1999) kaum innovative Momente in der Reiseberichtszene gegeben hat…

Abschließend gehört das Wort Richard Schomburgk. Er stand in engem Kontakt zu Humboldt und reiste auf dessen Spuren auf der Suche nach den Quellen des Orinoko. Die Natur „poetisch-lebendig“ beschreibend entwarf er 1848 folgendes Bild einer Nachtszene im venezolanischen Urwald:

„…die tiefste Stille war über unsre Umgebungen ausgebreitet. Bald hüllte die Nacht alles in ihren dunkeln Schleier ein; hier und da aber verkündete das Zirpen der Grillen, das Quaken der Frösche, dass unter ihm das Leben feierte. Noch hörte man nur diese Stimmen und ein leises Summen der Mosquitos und andrer unsichtbarer Insekten. Bald aber erwachte das ungeahnte Leben der Nacht; es begann mit dem dumpfen, abgebrochenen Brüllen ungeheurer Frösche, das jene kleinen Arten bereits in schwächerem Grade eingeleitet hatten, dem sich dann immer das schauerliche Geheul der Brüllaffen und die grellen, Mark und Bein durchdringenden Stimmen der wandernden Heerden der kleinen Winselaffen anschliessen.

Ist der erwachende Morgen ein zaubergleicher Feenspiegel, der den Blick in eine überraschend grossartige Natur öffnet und mit den verlockendsten, reichsten und lieblichsten Bildern umgiebt, so schreckt die innerste Seele vor der schauerlichen, phantastischen Nacht der Tropen zusammen, welche sie fortwährend in jener Aufregung erhält, der wir uns selbst daheim in unsern stillen Wäldern nicht ganz entziehen können, die aber doch wieder so vielen Reiz hat!“