Vorweihnachtliche Meditation in der „Salzkathedrale“ von Zipaquirá

Vorweihnachtliche Meditation in der „Salzkathedrale“ von Zipaquirá
Schon einmal unterirdisch Weihnachten gefeiert? Das kolumbianische Andenstädtchen Zipaquirá bietet ein ideales Szenarium, um diese Idee in die Tat umzusetzen. Salz macht es möglich. Es ist allgemein bekannt, dass Salz ein lebenswichtiges Mineral ist. Hier in Zipaquirá erlebt der staunende Besucher, dass man aus Salz auch Kathedralen bauen kann – unter der Erde.

Nur circa 50 Kilometer nördlich der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá lockt die schöne, 2750 Meter hoch in den östlichen Kordilleren gelegene Kleinstadt vor allem an Wochenenden zahlreiche Besucher und Pilger mit ihrer Hauptattraktion: der Salzkathedrale (Catedral de la Sal). Nach etwa 45 Minuten Fahrt durch die üppig grüne Hochebene (Sábana) von Bogotá, die mit Weiden, Wäldern und friedlich grasenden schwarzweißen Kühen auf den ersten Blick wie eine deutsche Mittelgebirgslandschaft aussieht, erreichen wir Zipaquirá. Nur die Militärposten an jeder Ecke erinnern uns daran, dass wir uns in Kolumbien befinden und nicht in der Eifel.

Das erste, was neben der grandiosen Bergwelt ins Auge sticht, ist die Kathedrale des Ortes – die überirdische. Natürlich im Barockstil, beherrscht sie doppeltürmig das Stadtbild. Eingerahmt von bewaldeten Bergrücken und prächtig blühenden, exotischen Bäumen liegt Zipaquirá friedlich wie ein idyllischer Paradiesgarten in der Mittagssonne. Wenig später können wir in der Zeitung lesen, dass hier nur drei Tage nach unserem Besuch der Erzbischof von Zipaquirá von FARC-Rebellen entführt wurde. Inzwischen ist er befreit worden, hat seinen Entführern vergeben und kann wieder Messen in seinen beiden Kathedralen zelebrieren: in der barocken und in der unterirdischen. Letztere wurde in eines der größten Salzbergwerke der Welt hineingebaut.

Schon die Ureinwohner vom Volk der Chibcha hatten hier mit einfachen Werkzeugen Salz gewonnen. Im Jahre 1537 kamen erstmals die spanischen Eroberer nach Zipaquirá, unter der Führung des späteren Gründers von Bogotá, Don Gonzalo Jimenez de Quesada. Auch er interessierte sich für das „weiße Gold“. Aber der Salzabbau blieb sporadisch und nicht sehr ergiebig – bis zur Ankunft eines anderen prominenten Besuchers. Kein geringerer als Alexander von Humboldt, der Alleskönner, leitete 1801 die systematische Nutzung des Salzreservoirs ein, indem er Stollen bauen ließ, um an das tiefer unter der Erdoberfläche liegende reine Salz zu kommen. In der Folgezeit veranlassten deutsche und kolumbianische Ingenieure, dass immer mehr Stollen in den Berg getrieben wurden und bald entstanden auch die ersten Kapellen für die Bergarbeiter.

In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde dann mit Spenden der kolumbianischen Nationalbank vom Architekten José María González Concha die erste „Salzkathedrale“ erbaut, die 1992 aufgrund von Sicherheitsrisiken geschlossen werden musste.

Neben dieser baute man zwischen 1992 und 1995 die neue Salzkathedrale, größer und imposanter als ihre Vorgängerin. Der Architekt Garavito Pearl leitete die Bauarbeiten, bei denen die unheilige Menge von fast 80 Tonnen Sprengstoff benutzt wurde, um durch Beseitigung von 250.000 Tonnen Gestein und Salzkristall einen riesigen Hohlraum für die Kathedrale zu schaffen. Gleichzeitig wurden überirdisch ein Bergwerksmuseum eingerichtet und ein Kinderspielplatz sowie ein schöner Park angelegt.

Durch eine der Parkalleen dieses Parks führt nun der steile Anstieg zum Höhleneingang der Salzkathedrale. Spätestens jetzt spürt man, dass man sich auf fast 3000 Meter Höhe bewegt. Auch Touristen, die körperlich fit sind, müssen ein paar Mal stehen bleiben, weil das Herz bei der dünnen Luft heftig zu pochen beginnt. Dann ist die düstere Öffnung erreicht und der Abstieg in die heilige Unterwelt kann beginnen.

Der Führer unserer Gruppe fordert uns auf, immer wieder tief einzuatmen, denn die salzhaltige Luft in den Stollen sei sehr gesund. Wir sind aber mehr damit beschäftigt, unsere Augen an die fast völlige Dunkelheit zu gewöhnen, denn erfreulicherweise war man mit der Installation künstlicher Lichtquellen sehr sparsam, um die geheimnisvolle Stimmung nicht zu stören. Die Teilnahme an einer Führung ist offiziell zwar obligatorisch, aber schon nach der ersten oder zweiten Station kann sich jeder auf Wunsch alleine durch die Höhlen bewegen.Ungefähr 200.000 Besucher betreten jährlich diese von Menschenhand geschaffenen unterirdischen Hallen, nur ein Fünftel davon sind ausländische Touristen. Ziemlich wenig, wenn man bedenkt, dass diese Salzkathedrale in den kolumbianischen Bergen zumindest ihrer Größe nach weltweit einzigartig ist. Denn die dunkelste aller Kathedralen hat kolossale Dimensionen und gehört zu den größten religiösen Bauwerken überhaupt: Sie ist dreischiffig, 120 Meter lang und über insgesamt mehr als 8500 Quadratmetern Grundfläche wölben sich ihre in den salzhaltigen Fels gesprengten Kuppeln.

Im Innern dieser Höhlenkirche ist alles aus Salzkristall gemeißelt: monumentale Kreuze, zierliche Engel und Madonnenstatuen – alles aus Salz. Neben der Hauptkathedrale gibt es kleine Kapellen und einen Kreuzweg (Via Crucis), dessen 14 Stationen durch labyrinthartige Tunnel miteinander verbunden sind. Bei der ersten Kreuzwegstation, die den Beginn der Leidensgeschichte Christi markiert, erschrecken wir fast ein wenig über die harte, schnörkellose Strenge, mit der die Kapelle gestaltet ist – eine Seltenheit in Kolumbien, das wie alle Länder Lateinamerikas von Barockkirchen dominiert wird. Aus der Dunkelheit erhebt sich inmitten einer in den Salzfelsen gehauenen Halle das Kreuz, ohne Christusfigur oder Dekoration, kahl und kalt glitzernd, silbergrau und unwirklich. Darüber das schwarze und nackte Gewölbe der künstlichen Höhle. Sonst nichts. Dieser Raum scheint fast zum Schweigen zu zwingen, die Besuchermenge verstummt und zerstreut sich überraschend schnell.

Plötzlich sind wir fast allein, tasten uns durch die Finsternis bis zu den nächsten Stationen. Sie sind alle nach dem gleichen Schema angelegt: ein mächtiges schmuckloses Kreuz aus Salzkristall in die Höhlenwand gemeißelt oder im Zentrum des unterirdischen Saals emporragend. Sie unterscheiden sich aber durch die Art, wie die Lichtwirkung eingesetzt wird, denn in den meisten dieser Höhlenkapellen wird das Kreuz von einem mysteriösen Licht umgeben, das ein Gefühl Christi auf seinem Leidensweg symbolisiert: blaues, violettes, rötliches und silbriges Licht sollen Einsamkeit, Meditation im Garten Gethsemani, Todesangst und Glauben an die Ewigkeit suggerieren.

Die ausführlichen Interpretationen der Führer zu den einzelnen Kreuzwegstationen sind oft merkwürdig anzuhören und nicht immer nachvollziehbar. Es ist empfehlenswert, sich abzusondern, um allein die Stille und mystische Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Begleitet vom Echo eines fernen Gesangs, der durch das Dunkel der Tunnel zu uns dringt, nähern wir uns der Kathedrale. Immer tiefer steigen wir hinab. Zurück zur Höhle, in den Bauch der Erde, wo alles menschliche Zusammenleben begann, wo die ersten sakralen Zeichen auf Felswände gemalt und die ersten religiösen Zeremonien gefeiert wurden. Zurück zum Ur-Raum in der Tiefe. Der Tunnel zur Unterwelt scheint uns hinunter zu ziehen, weit fort vom Tageslicht; nur die Salzkristalle glänzen, sobald ein winziger Lichtstrahl sie streift. Ein mystisches Reich der Finsternis umgibt uns – und ein wabernder Klangteppich aus Echos, darunter die laute Stimme des Priesters. Und ab und zu erscheint ein leuchtender Engel rechts oder links an der schwarzen Wand des Tunnels. Der Gang öffnet sich, mündet in einer breiten Halle und tief unter uns liegt das Hauptschiff der Kathedrale. Man sieht den angestrahlten Altar, den Priester im weißen Gewand und die Kirchenbänke mit der singenden Gemeinde. Die Akustik ist phänomenal. Schon deshalb ist eine Messe – und gerade eine Weihnachtsmesse hier ein besonderes Erlebnis.

Über eine sehr enge und steile Treppe steigen wir hinunter zum Zentrum der Höhlenkathedrale und bewundern eine Kopie von Michelangelos Erschaffung des Adam; hier nicht als Malerei wie in der Sixtinischen Kapelle, sondern als Relief aus „Salzmarmor“.Darüber eine blau erleuchtete Felsenkuppel. Faszinierend sowohl von weitem wie auch aus der Nähe ist das riesige Kreuz, das in die Chorwand der Kathedrale gemeißelt wurde und dessen Hohlraum durch geschickt platzierte Scheinwerfer beleuchtet wird. Nach dem Ende der heiligen Messe „unter Tage“ besichtigen wir noch die Seitenschiffe und Kappellen. Aber so langsam, nach fast drei Stunden in der Unterwelt, sehnen sich unsere Augen doch nach Sonnenlicht.

Als wir uns dem Tor zum Licht nähern, ist der „Helligkeits-Schock“ groß, unsere Augen brauchen Minuten, um sich wieder an das Tageslicht zu gewöhnen. Und beim Abstieg ins Tal von Zipaquirá, zurück ins normale Leben, haben wir noch das Echo der unterirdischen Stimmen im Ohr, die diesen einzigartigen Höhlentempel erfüllen.