Vom Ex-Sträfling zur Kultfigur – der Gaucho

Oft heißt es, der echte, der urtümliche, der wahre Uruguayo sei der Gaucho. Dabei gibt es viele Mythen um die Entstehung dieser Berufsgattung – denn „gaucho“ bedeutet nichts anderes als Viehhirt bzw. Landarbeiter.

Die Gauchos waren (ähnlich wie die Cowboys in den USA) vor allem für die Erschließung des Landes zuständig. Das Landesinnere Uruguays, „El Interior“, war von der spanischen Kolonialherrschaft relativ unberührt geblieben und nach der Unabhängigkeit nur sehr dünn besiedelt. Auch in den darauffolgenden Jahrzehnten, die vor allem von Bürgerkriegen und Gesetzlosigkeit geprägt waren, blieb das Landesinnere vergleichsweise gering entwickelt.

Viehherden und Gauchos streiften gleichermaßen frei durch dieses Niemandsland. Vor allem aus dieser Zeit stammt der Mythos des stolzen Mannes, der mit seinem Pferd ein Nomadenleben führt, niemands Knecht und schnell mit dem Messer zur Hand ist und im Freien auf seiner Matte schläft, wenn die Nacht ihn in der unendlichen Weite des Interior überrascht.

Fakt ist, dass der Gaucho ein Kind zweier Kulturen war: der europäischen Einwanderer und der Ureinwohner des heutigen Uruguay. Aber vor allem war der Gaucho – oftmals ein ehemaliger Sträfling oder ein von den Behörden gesuchter Mann – arm. Ein Pferd, Sattel und Zaumzeug, Messer, Lasso und Bola (Wurfkugel) waren seine kostbarsten Besitztümer. Mit Bola oder Lasso fing er die Tiere, aus deren Leder er mit seinem Messer jene Stücke schnitt, die er zur Herstellung seines Sattels und Zaumzeugs benötigte.

Geld bedeutete dem Gaucho – so heißt es – nichts. Die Silbermünzen, die er an seinen Ledergürtel nähte, brauchte er angeblich vor allem, um damit anzugeben. Viel wichtiger war ihm sein Messer, mit dem er Rinder und Schafe tötete, um sie dann – über dem Lagerfeuer gegrillt – zu essen. Diese Grilltradition lebt bis heute im „Asado“ fort, das aus der Kultur (nicht nur) der Uruguayos nicht wegzudenken ist.

Durch sein ungebundenes Nomadenleben auf dem Land war der (eigentlich europäischstämmige) Gaucho auch in einem sehr viel engeren Kontakt mit den Indígenas als der Rest der uruguayischen Bevölkerung. Er war es, der den Brauch des Matetrinkens der Ureinwohner übernahm und ebenso wie den Asado in der Kultur des Landes verankerte. Im Gegensatz zu einigen der benachbarten Länder waren die Gauchos auch nicht an der Ausrottung der Ureinwohner beteiligt. Der berühmteste von ihnen, der Nationalheld General José Gervasio Artigas, lebte von seinem 16. bis zu seinem 33. Lebensjahr mit Mitgliedern der Charrúa. Als er später sein Volk im Freiheitskampf gegen die spanische Kolonialherrschaft anführte, tat er dies mit der Unterstützung vieler Charrúa. Nicht umsonst werden sie noch heute als das „Rückgrat“ seiner Befreiungsarmee bezeichnet. Auch eine seiner Frauen war eine Charrúa.

Heute gibt es die vagabundierenden Gauchos nicht mehr. Sie verdienen zwar noch immer ihr Geld als Landarbeiter und Viehhüter der großen Estancias. Aber sie sind längst sesshaft geworden und besitzen oftmals auch eigenes Land, das aber oft nicht für ihren Lebensunterhalt ausreicht. Den alten Traditionen sind die meisten von ihnen noch immer verbunden.

Foto: Lars Borchert

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Autor: Lars Borchert
ISBN: 978-3831725908, Seiten: 300, Verlag: Reise Know-How