Verdammt, Méndez (07/2013)

Und wie wär’s mit einer Havanna? – Sie machen einen Fehler, sie abzulehnen Señor Méndez. In einer Welt, in der alles maschinell gefertigt wird, bleiben nur noch zwei Dinge, die ausnahmslos Handarbeit sind: die Havanna und das Wichsen.“

Welch ein Segen, endlich die Bekanntschaft von Inspector Méndez gemacht zu haben. Der kurz vor der Pension stehende Méndez – Ja, meine Welt ist tot, und eigenartigerweise lebe ich noch. Ich weiß nicht, warum sie mich haben rufen lassen Señor M., entgegnet Méndez Hauptkommissar Monterde als dieser ihm den Fall überträgt – entführt den Leser in ein Barcelona der Ganoven und Revolverhelden, der Dirnen und fiesen Garküchen. Und doch hat die Gentrifizierungswelle das Viertel Raval schon voll erwischt. Geschäfte mit Magermilchprodukten schießen aus dem Boden, die Madames sind verschwunden, und die Zahnärzte kommen. Sie nennen es nicht einmal mehr Barrio Chino.

Ein Toter. Viel weiß ich nicht über ihn, nur dass er Omedes hieß, nichts gelernt hatte und ein übler Geselle war. Er schlug sogar seine Mutter, verbrachte seine Kindheit in der Besserungsanstalt, die frühe Jugend im Gefängnis und später bei Madame Ruth.

Der Tod wohnt nebenan
Autor: Francisco González Ledesma

Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe (August 2011)
ISBN-10: 3404160754 / ISBN-13: 978-3404160754

Ruth, immer wieder Ruth, die einstige Hure, die es zu Wohlstand gebracht hatte. Von der ersten bis zur letzten Seite ist sie allgegenwärtig. Dabei will sie nur noch sterben.

Sterben aber soll der Kompagnon von Omedes, ein gewisser Erasmus. Der jedoch ist gewieft, spielt in der Liga der Reichen und Wichtigen. Und er weiß, dass auch ihn der Hass des Vaters des bei einem gemeinsamen Überfall mit Omedes zu Tode gekommenen dreijährigen Jungen einholen wird, sollte er ihm nicht zuvor kommen. Der Vater, von dem die Rede ist und den Inspector Méndez als mutmaßlichen Mörder von Omedes im Blick behält, ist Miralles der Personenschützer mit dem schnellen Finger und dem alle Situationen erfassenden Weitblick. Miralles hat von Antrade, einem jüngst verstorbenen alten Polizisten, der sich für Straßenkinder einsetzte, Eva Expósita ans Herz und ins Heim gelegt bekommen. Eva, noch nicht volljährig, aber schon in der Ausbildung zur Personenschützerin, wird an der Seite Miralles zur Zielscheibe der gemeinsten und widerlichsten Kreaturen der Unterwelt Barcelonas.

Und immer wieder Ruth. Und irgendwie auch ihr Mädchen Mabel, die Miralles vor der heranschießenden Metro rettet.

Der Marques hatte ein Auge auf Mabel geworfen. Und so holte Ruth die damals 15-Jährige in ihr Bordel. Jahrzehnte später, der Marques war schon lange tot und hatte Ruth und Mabel sein Haus vermacht, lebten die ehemalige Kupplerin und das einst gute Mädchen gemeinsam im Anwesen des Marques. Mabel kümmert sich um die kranke alte Ruth, nicht aber ohne Gerechtigkeit zu üben und die Alte für jeden auferlegten Freier mit Leid bezahlen zu lassen. Dann kommt es am Abend des großen Showdowns, in dem der Autor ein atemberaubendes Tempo an den Tag legt, zu einem letzten klärenden Gespräch.

„Du hast mich immer gehasst, Mabel.“
„Ja.“
„Schon als du noch ein Mädchen warst.“
„Ich war nie ein Mädchen.“
„Doch, ich weiß, dass du das warst, Mabel. Als kleines Mädchen durftest du in der Messe nicht dienen, denn nur Jungs durften Messdiener werden, aber du hast mit deiner Mutter die Kirche gekehrt und geschrubbt. Ich sehe dich noch vor mir. Die Böden wurden auf Knien geschrubbt, und die Kirche wollte kein Ende nehmen.“
„Stimmt. Ich hatte immer rote Knie, obwohl mir meine Mutter eine Matte unterlegte, damit ich nicht so sehr litt. Aber ich litt wegen etwas anderem.“
„Weswegen?“
„Ich hatte in all der Stille das Gefühl, dass die Heiligenfiguren mir auf den Hintern schauten.“

Fazit
Unbedingt lesen. Am liebsten hätte ich mich ganz zurück gehalten und nur zitiert, denn das Spiel des Autors, Francisco González Ledesma, mit der Sprache, den Tempowechseln von Vollgas zu Überschall, den Perspektivenwechsel, dem Verweben von Gedanken und Handlung, den Gedanken-Sprüngen, der amüsanten Auseinandersetzung mit der Küche, den Menschen, den Vierteln und nicht zuletzt seinen Protagonisten ist brillant. Auch in der deutschen Übersetzung.

Francisco González Ledesma hat reihenweise Literaturpreise abgeräumt und das seit seinem ersten Roman Sombre viejas, den er 1948 veröffentlichte. Die Inspector Méndez-Reihe startete er 1983. Zehn Titel sind bislang erschienen. 2011 fand sich mit Bastei-Lübbe erstmals ein Verlag, der eine deutsche Übersetzung publizierte: den hier besprochenen Kriminalroman Der Tod wohnt nebenan (Una novela de barrio, 2007). Es folgten noch in 2011 Die Rache der Träumerin (La dama de Cachemira, 1986) und in 2012 Gott wartet an der nächsten Ecke (Historia de Dios en una esquina, 1991). Es bleibt zu hoffen, dass Bastei-Lübbe in diesem Tempo auch noch die restlichen Méndez-Werke heraus gibt. Ruth, Mabel, Miralles und Eva werden dann bestimmt ersetzt, doch eines wird Bestand haben:

„Verdammt, Méndez“, wie der Hauptkommissar immer sagte. – „Sie mischen sich aber auch in jeden verfluchten Schlammmassel ein. Ich weiß nicht mehr, was ich mit Ihnen machen soll. Erst schneiden Sie einem Kerl mit einer kaputten Weinflasche die Eier ab, die zu allem Überfluss noch Markenwein enthielt. Glauben Sie ja nicht, dass der Staat das zahlen wird. Und dann blasen Sie einem anderen das Hirn weg. Verdammt, Méndez.“

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