Rodrigues – Teixeira (11/2004)

Die monatliche Kolumne zu Musik aus Lateinamerika, der Karibik, Spanien und Portugal. Hier findet ihr Folklore, Latinjazz, Rock und Elektroakustik neben Speedmetal, Funk und Kammermusik. Ob Tango, Kaseko, Guajira, Flamenco, Fado, Axé, Punta oder die Mischung aus allem, hier kommt es auf den Prüfstand. Vorgehört und serviert von Torsten Eßer.

Mitte der 60er Jahre zogen Vinícius de Moraes und Baden Powell, zwei Superstars der brasilianischen Musik, auf der Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksformen nach Salvador de Bahia im Nordosten Brasiliens. Sie entdeckten die dortige afro-brasilianische Musik, kombinierten sie mit Elementen aus dem Bossa Nova und dem Samba und nannten ihre neuen Kompositionen afro-sambas. Mit diesen Stücken machten sie 1966 zum ersten Mal die eigenen Landsleuten mit einem Teil der afro-brasilianischen Musikkultur bekannt.

Virgínia Rodrigues interpretiert auf „Mares Profundos“ diese afro-sambas und einige weitere Titel aus der Feder von Moraes und Powell. Sie stammt aus Bahia, ist stolz auf ihre afrikanischen Wurzeln und möchte dies durch ihre Musik zum Ausdruck bringen. Als Anhängerin des Candomblé, einer stark von Musik geprägten Religion der westafrikanischen Yoruba-Kultur, gelingt es ihr die Gesänge zu Ehren ihrer Götter (Canto de Iemanjá; Canto de Xangô) viel authentischer zu interpretieren als die beiden weißen Komponisten, die erst Feldforschung in Bahia betreiben mussten.

Virgínia Rodrigues
Mares Profundos
edge music/ DG 474196-2

Sie legt ihr gesamtes afro-brasilianisches Gefühl in den Gesang. Das verhalf ihr zum Durchbruch: Caetano Veloso hörte sie singen, war begeistert und besorgte ihr einen Plattenvertrag. So begann ihre Karriere, von der Waschfrau zum Star.

Ein Traum vieler schwarzer Brasilianer, für die die Musik – neben dem Sport – die einzige Möglichkeit ist, der Armut und dem Elend zu entfliehen.

Virgínia Rodrigues hat nie eine Gesangsausbildung erhalten, der Gesang im Kirchenchor ermöglichte es ihr, die Stimme zu trainieren und Notenlesen sowie etwas Musiktheorie zu erlernen. Ihr Gesangstalent ist bewundernswert, ihre Interpretation der afro-sambas eine Bereicherung der aktuellen brasilianischen Musikszene. Dabei reicht die Bandbreite der Musik von traditionell bis jazzig (Tempo de Amor) und umfasst die Tradition des capoeira, eines afro-brasilianischen Kampftanzes (Berimbau; Lapinha) aus der Region Bahia.

Various
Destination Brazil – A Tribute to Humberto Teixeira
ZYX/ NFX 20007

Auch der 1979 verstorbene Humberto Teixeira stammte aus dem Nordosten Brasiliens, aus Ceará. Die dortige Landschaft – der sertão – ist trocken und unfruchtbar, die Menschen sind arm, die Musik ist rauh, aber fröhlich. Der studierte Rechtswissenschaftler und Mediziner arbeitete nebenbei als Komponist und traf eines Tages auf den Akkordeonspieler Luiz Gonzaga. Gemeinsam machten sie in den 50er Jahren die ländlichen Rhythmen des Nordostens – coco, xote, xaxado – in ganz Brasilien bekannt und erschufen ein neues Genre beziehnungsweise einen neuen Tanz: den baião, benannt nach ihrem Stück „Baião“, das durch die Instrumentierung mit Akkordeon, Basstrommel und Triangel einen rockigen, erdigen Klang erhielt. „Asa Branca“ (weißer Flügel), eine weitere ihrer Kompositionen, wurde zur inoffiziellen Hymne des Nordostens.

Nachdem diese Musik in den 60er Jahren aus der Mode gekommen war, entdeckten die Stars der Música Popular Brasileira – Caetano Veloso, Gilberto Gil u.a. – sie in den 70er Jahren wieder. 2002 traf sich eine All-Star-Gruppe brasilianischer Musiker – neben Veloso und Gil, Maria Bethãnia, Lenine, Gal Costa, Chico Buarque u.a. – im Teatro Rival in Rio de Janeiro zum 1. Festival „Música de Humberto Texeira“ und spielte die alten Hits: 14 der 17 Stücke auf dieser Kompilation stammen aus dieser Session. Das Publikum war begeistert, der Hörer wird es auch sein.

Cover: amazon