Pablo Casals: spanischer Meister des Violoncello (05/2001)

2001 ist auch das Jahr Pablo-Casals: der 125. Geburtstag eines der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts steht an. Nie gehört? Damit seid ihr nicht allein. Nur einem speziellen Menschenschlag ist dieser Name bisher vertraut. Sie nennen sich selbst „Hörer klassischer Kammermusik“ und führen ein ausgeprägtes Schattendasein.

Casals ist für die Geschichte des Cellos ebenso maßgeblich wie Paganini für die der Geige. Allerdings musste Pablo seinem Instrument erst den Weg bereiten, denn Solokonzerte für Cello wollte bis 1900 kaum jemand hören und tatsächlich gab es auch nur wenige solcher Werke. Casals beschritt also völlig neue Wege. Fast wäre daraus nichts geworden: hätte seine Mutter sich nicht durchgesetzt, so wäre er nicht der größte Cellist der Welt, sondern Tischler geworden.

Durch sein Spiel wurde das Cello von Komponisten wie Arnold Schönberg, Prokofieff, Schostakowitsch und Hindemith neu entdeckt. Natürlich existierten bereits vor Casals` innovativer Spielweise Kompositionen für Celli, nur wurden die Möglichkeiten des Instrumentes beispielsweise in den Werken von Beethoven oder Haydn nie voll ausgeschöpft. Das sollte erst Casals und seinen Schülern gelingen.

Wie revolutionierend seine Neuerungen waren, läßt sich heute kaum mehr nachvollziehen, da sie zu selbstverständlichen Grundlagen des Cellospiels geworden sind. So war es beispielsweise um die Jahrhundertwende noch durchaus üblich, die Finger über die Saiten gleiten zu lassen. Casals führte das „Werfen der Finger“ ein, die Perkussion, was einen kraftvolleren und Ausdruck stärkeren Ton erzeugt.

Weil ihm der Einsatz des Bogens in seiner ganzen Länge musikalisch unelegant, häßlich und falsch erschien, schaffte er das Prinzip, dass der Bogen stets an der Saite zu bleiben habe, gleich mit ab.

Keine dieser technischen Neuerungen setzte er jedoch um ihrer selbst willen durch. Vielmehr wollte er ehrfurchtsvoll die Intention der Komponisten zu musikalischem Leben erwecken. Ihm ging es um nichts geringeres als Wahrheit und Erfüllung der Kompositionen.
Das Resultat dieser kompromißlos durchgesetzten Techniken („Technik ist dann vollkommen, wenn man sie nicht mehr bemerkt“) sind hinreißende und expressive Interpretationen aller bedeutenden Kompositionen, die je für Violoncello geschrieben wurden.

Als Pablo Casals 1876 im katalanischen Dörfchen Vendrell, geboren wurde, hatte Johannes Brahms seine erste Sinfonie gerade beendet, fanden in Bayreuth erstmals die Wagner-Festspiele statt, Gustav Mahler war gerade 16 und Claude Debussy zarte 14 Jahre alt. Mit Ausnahme Arnold Schönbergs war noch keiner der späteren Klassiker der Moderne geboren, die Casals zudem alle überleben sollte.

Seinen historischen Glücksmoment erlebte er, als er mit 13 Jahren in einem Musikantiquariat in Barcelona eine Ausgabe der sechs Solosuiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach entdeckte. Zwölf Jahre lang studierte er die damals nahezu unbekannten und vergessenen Kostbarkeiten, ehe er es wagte, auch nur eine davon 1901 öffentlich im Konzert vorzutragen. Die Musik entsprach genau seinem Weltgefühl und er fürchtete bei jeder Aufführung, zu viele seiner innersten Gedanken und Gefühle preiszugeben. Nur aus Ehrfurcht vor der Musik ließ er sich überhaupt dazu überreden, sie auf Schallplatte aufzunehmen.

Oft war er selbst in sein Spiel so versunken, daß er hingebungsvoll mitsang; ihm war es dabei gleich, ob er dabei gerade im Weißen Haus vor den Kennedys spielte oder sein Brummen im Tonstudio mit auf die Schallplatte gebannt wurde. Es wurde zu seinem Markenzeichen und ist natürlich noch immer auf CD oder seinen Platten zu hören.

Sein Credo war die Einheit von Kunst und Menschlichkeit: „Wichtiger als das Verhältnis des Musikers zur Musik ist die Haltung, die er dem Leben gegenüber einnimmt“, ist in seinen Erinnerungen zu lesen.

Seine eigene Haltung war in diesem Punkt kompromißlos: 1938 emigrierte er aus Protest gegen Franco nach Südfrankreich und weigerte sich während der deutschen Besatzungszeit für Hitler zu spielen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brach er eine laufende Tournee kurzerhand ab, um seiner Empörung über das Weiterbestehen der spanischen Diktatur Nachdruck zu verleihen; er gab überhaupt keine Konzerte mehr. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits der König der Cellisten und weltweit reagierte man dementsprechend entsetzt.

Sein verstummtes Instrument ließ der Virtuose nach langen Jahren des Boykotts erst 1950 anläßlich des zweihundertjährigen Todestages des von ihm sehr verehrten Bach wieder erklingen. Er versammelte im südfranzösischen Pyrenäenort Prades Musiker aus der ganzen Welt und begründete auf diese Weise ein Festival, das auch heute den Namen des Meisters trägt. Dieses findet alljährlich im Sommer unter dem Dach der Abtei Saint-Michel de Cuxa, den naheliegenden Kirchen und Gärten sowie in einigen offiziellen Gebäuden statt.

In späteren Jahren griff Casals ebenso häufig zum Taktstock wie zum Cello. Noch in Spanien, ab 1928, hatte er an der Spitze eines von ihm gegründeten Orchesters (Orquestra Pau Casals) die ersten Arbeiterkonzerte gegeben, die er mit den steigenden Einnahmen seines Erfolges finanzieren konnte. Casals wollte die Musik seines Orchesters allen zugänglich machen. Für einen symbolischen Jahresbeitrag von sechs Peseten konnte jeder Mitglied der Associació Obrera de Concerts werden und mehrmals im Jahr klassische Symphoniekonzerte des Orquestra Pau Casals besuchen. Bis 1937, als das letzte Konzert des Orchesters stattfand, wurden 300 000 Menschen Mitglieder und begeisterte Zuhörer.

Auch im Rahmen seines „persönlichen Kreuzzuges für den Frieden“, wie er es nannte, stand er am Dirigentenpult und leitete sein Oratorium „El Pesebre“ (die Krippe). Wann immer Pablo Casals in den letzten 25 Jahren seines Lebens mit Cello oder Taktstock die Bühne betrat, ging es ihm um einen moralischen Appell. Zudem büßte er auch als 90-Jähriger von seiner Kunst nichts ein. Zeitzeugen berichten, seine Cellokunst sei farbig und voller mitreißender Vitalität wie eh und je.

Die bereitstehende Sauerstoffausrüstung schüchterte ihn dabei nicht ein.

Seine letzten Jahre verbrachte der Cellovirtuose mit seiner 59 Jahre jüngeren Frau Martita auf Puerto Rico, der Heimat seiner Mutter.

Dort hinterließ er ebenfalls musikalische Spuren. Er gründete ein weiteres erfolgreiches Festival, das seinen Namen trägt sowie das Musikkonservatorium von Puerto Rico und ein Sinfonieorchester, das er selbst in vielen Konzerten leitete.

Im September 1973 erlitt Casals beim Dominospielen einen Herzinfarkt und starb kurz darauf. Mehrere hundert Menschen nahmen an der Beisetzung auf dem Puerto Rico Memorial Cementery teil. Eine Rückkehr nach Spanien hatte er unter Francos Regime abgelehnt.

Und so wurden seine Überreste erst im Jahr 1979 nach Spanien in seine alte Heimat El Vendrell überführt.