Musik aus Müll

Angenommen, eure Kinder würden gerne ein Instrument spielen, es wäre aber kein Geld da, um ihnen eine Gitarre oder eine Geige zu kaufen. Hieße das dann, kein Instrument spielen zu können? Nicht unbedingt. In Paraguay gibt es ein Orchester, in dem alle Kinder auf Instrumenten spielen, die aus Müll gebaut wurden.

Mittwoch ist Probentag für das Müllorchester. Evelyn schaut konzentriert auf ihre Noten und gibt acht, den Einsatz nicht zu verpassen. Sie ist zwölf Jahre alt und spielt Saxofon. Auf den ersten Blick sieht ihr Saxofon wie ein ganz normales Instrument aus. Doch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man einige Unterschiede. In der Pause erklärt Evelyn die Besonderheiten an ihrem Saxofon:“Es war früher mal ein Regenabflussrohr. Die beweglichen Teile sind aus Münzen, Deckeln von Colaflaschen und alten Schlüsseln gemacht und hier wurde noch eine Maisdose eingebaut. Das ganze Saxofon besteht aus wiederverwertetem Müll, nur das Mundstück nicht.“

Evelyn und die anderen Kinder leben in Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay. Das Viertel, aus der Evelyn stammt, ist ziemlich arm, es gibt hier nur kleine Hütten und eine große Müllkippe. Die Menschen haben kein Geld für Musikunterricht oder gar teure Geigen oder Celli. Trotzdem wollen viele Kinder gerne ein Instrument spielen. „Ich liebe die Musik und als meine Mutter erfuhr, dass man hier umsonst ein Instrument erlernen kann, hat sie mich bei der Musikschule angemeldet. Seit einem Jahr bin ich gut genug für das Orchester. Hier muss man nichts bezahlen, nur regelmäßig üben. Die Instrumente leiht uns die Musikschule“, erklärt Evelyn.

Doch woher sollte die Musikschule das Geld für Musikinstrumente nehmen? Flavio Chavez, der Direktor des Orchesters, hatte vor einigen Jahren eine Idee: „Es gibt hier jede Menge Müll. Wir dachten uns: lass uns daraus etwas Schönes machen! Wenn man nur genug Phantasie und Geduld hat, dann lässt sich aus fast allem ein Instrument bauen. Die Geigen sind zum Beispiel aus alten Konservendosen gemacht. Weggeworfene Gabeln halten die Saiten. Oder es gibt Pauken, die mit Röntgenbildern bespannt sind.“ All diese Dinge stammen von der Müllkippe, auf der der Abfall der Hauptstadt landet. Und Flavio Chavez ist der Meinung, dass diese Instrumente aus Müll noch viel mehr Vorteile haben als nur billig zu sein: „Sie gehen nicht so schnell kaputt und wenn doch, dann kann man sie leicht reparieren, sie sind ja selbst gebaut. Außerdem können die Kinder sie mit nach Hause nehmen, ohne dass man Angst haben muss, dass sie geklaut werden, denn sie sind ja nicht wertvoll.“

Das ist ziemlich wichtig, denn in einer Gegend, in der die Menschen so arm sind, wird ziemlich viel gestohlen und geraubt. Es gibt auch keine Spielplätze oder Sportvereine oder sonst etwas, was die Kinder nach der Schule machen könnten. „Die Kinder haben hier nicht viele Möglichkeiten und ich dachte, die Musik ist eine gute Sache, bei der alle gemeinsam etwas Tolles auf die Beine stellen können. Auch wenn vielleicht nicht alle gleich gut spielen können“, erzählt Chavez.

Zwei Mal pro Woche treffen sich die Orchestermitglieder zur Probe in einem Haus, das ziemlich baufällig ist und etwas muffig riecht. Der Probenraum ist sehr eng und die Wände sind gekachelt – vielleicht war das mal eine Küche. Aber das ist den Musikern ganz egal. „Musik ist mein Leben und hier kann ich sie mit anderen zusammenspielen. Das mache ich jetzt schon seit zwei Jahren“, berichtet Miguel. Er spielt eine Gitarre aus Konservendosen. Eigentlich kommen die Kinder her, um gemeinsam zu musizieren. Aber ganz nebenbei werden sie auch berühmt. Ihr Müllorchester ist inzwischen auf der ganzen Welt bekannt. Miguels Mutter ist unglaublich stolz: „Es wird immer schlecht über unser Viertel gesprochen, hier gäbe es ja nur Müll. Aber unsere Kinder zeigen, dass es hier auch gute Sachen gibt. Sie reisen sogar ins Ausland!“

Gerade ist das Müllorchester von einer Konzertreise aus den Vereinigten Staaten zurück gekommen. Für Evelyn war das ein tolles Erlebnis: „Wir haben bei den Konzertreisen immer Zeit, auch etwas vom Land zu sehen. Die USA sind sehr schön! Das Leben dort ist ganz anders als bei uns in Paraguay. Die Häuser, die Straßen, das Klima.“ Und diese Reise war nicht die einzige des Müllorchesters – es gibt wohl in ganz Südamerika kein Orchester, das so erfolgreich und berühmt ist wie die Kinder aus der Armensiedlung neben der Müllkippe. Und dabei wollen Evelyn und die anderen doch eigentlich nur eines: Musik machen.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

Tipp: Katharina Nickoleit und Christian Nusch haben u.a. einen Bildband Paraguay verfasst, den ihr im Verlagshaus Würzburg erhaltet.