Malen nach Zahlen

Wir pressen die Zähne aufeinander, vermeiden Blickkontakte und drücken unseres Nachbarn Hand bis zur Schmerzgrenze. Heiterkeit liegt in der Luft und doch mahnt uns die Angst zur Selbstbeherrschung. Angst vor der Ungewissheit mit wie vielen Hängemattenstunden uns der in seinem Stolz verletzte mexikanische Grenzbeamte strafen könnte.

Ich bin an der Reihe. Drei Minuten benötigt mein Gegenüber zur Plazierung des Passes. Zunächst gefällt ihm der 17° Winkel, alsbald deklariert er sein Vorhaben als zu forsch und wechselt zur Parallelstellung.

Die Übertragung beginnt: Exaktes Kopieren jedes einzelnen Letters – jedes Formular wird zum Kunstwerk.
Ich ertappe mich dabei, dem Künstler ein wenig unter die Arme greifen zu wollen, habe mich aber schnell wieder unter Kontrolle. Schon verleiht mein Gegenüber dem dritten Buchstaben ein selbstbewusstes Äußeres. Auch die Entstehung des vierten und fünften Buchstabens sind ein Augenschmaus.

Noch bin ich voller Erwartung, welchen Namen der Beamte für mich auserkoren hat.
Ja! Da ist er. Von nun an heiße ich „DEUTSCH“ – einen Moment – „DEUTSCH“, „DEUTSCH“, oh sehr schön „VILLINGEN“. – Leider schenkt er sich den Zusatz „im Schwarzwald“.

Schließlich ist es vollbracht. Ich bedanke und verabschiede mich respektvoll. Ich schreite mit meiner neuen Identität der Sonne entgegen, im vollen Bewusstsein darüber, der so trügerisch dreinschaukelnden Hängematte um Haaresbreite entgangen zu sein.