Kolumbien im Fokus (03/2009)

Mit Kolumbien bringen Deutsche vor allem Bürgerkrieg, Entführungen und Drogen in Verbindung. Die geschichtlichen Hintergründe des Konfliktes bzw. der Konflikte bleiben den meisten Lesern (und Journalisten) verschlossen. Diese Lücke füllt nun im populären Taschenbuchsegment die Kleine Geschichte Kolumbiens von Hans-Joachim König, emeritierter Professor für lateinamerikanische Geschichte.

Die geographische Benachteiligung des Landes durch drei Bergzüge der Anden, die eine verkehrstechnische Verbindung der verschiedenen Regionen sehr erschweren und damit einhergehend auch die gemeinsame Identifikation zur Bildung eines Nationalstaats, ist der erste nachvollziehbare Aspekt, den König in seinem Buch als eine Ursache für die heutige Situation anführt. Übrigens auch der Grund, warum Kolumbien 1919 das erste lateinamerikanische Land mit einer eigenen Fluggesellschaft war.

Hans-Joachim König
Kleine Geschichte Kolumbiens
C.H. Beck
München 2008
Seiten 188
12,95€

Der so durch die Natur geförderte, später entstandene extreme Föderalismus, gepaart mit den egoistischen Interessen der regionalen Eliten führte dazu, dass die in verschiedenen Teilen des Landes gebauten Eisenbahntrassen verschiedene Spurweiten hatten. Trotz des fehlenden gemeinsamen Nationalgefühls waren es kolumbianische Aufständische, die als einzige in der Kolonialgeschichte des Kontinents der spanischen Kolonialmacht 1781 in den sog. capitulaciones politische und ökonomische Zugeständnisse abringen konnten, die dann wie fast alle anderen fortschrittlichen Vereinbarungen, von denen im weiteren Verlauf des Buches die Rede ist, nicht oder nur teilweise erfüllt wurden. Denn fast alle Reformprogramme, die lang und breit geschildert werden, enden mit dem frustrierenden Fazit des Autors, „konnte sich nicht durchsetzen“ (z.B. S. 131).

Die Eliten Kolumbiens waren nie ernsthaft an einer Demokratisierung des Landes interessiert, Gewinnstreben stand und steht immer vor sozialen und nationalen Belangen. Selbst Simon Bolívar setzte unter diesen Bedingungen auf die Diktatur als Regierungsform, eine langfristige Stabilität konnte aber auch er nicht erreichen. Kulturelle Vereinigungen trugen dazu bei, das Bewusstsein um die eigene (Kultur)Nation zu stärken und sich von Spanien zu lösen. Aber auch so entwickelte sich kein ausreichendes Nationalgefühl. Letztlich ist auch das „Ausscheiden“ Panamas – unter starker Mithilfe der USA – aus der Föderation auf die kurzsichtige und oft dumme Politik der Eliten zurückzuführen. Und wenn es in kurzen Zeiträumen zu sozialen und ökonomischen Verbesserungen kam, war das immer nur externen Faktoren geschuldet, so der Preissteigerung für das Hauptexportprodukt Kaffee oder ausländischen Krediten.

Wie Fähnchen im Wind änderten Liberale und Konservative ihre Politik, wenn die persönlichen Interessen gefährdet waren. Nur wenige Präsidenten hatten den Mut zu Reformen. Manche Liberale hatten kurzfristig sogar sozialistische Ideen, die sich aber ebenfalls nicht durchsetzen konnten. König schildert die politischen Prozesse und ökonomischen Entwicklungen oft sehr detailliert (z.B. S. 125/126), die Namenshäufungen machen die Lektüre mitunter langatmig. Man wünscht sich in diesem für die breitere Masse verfassten Werk die Aufnahmekapazität von akademischen Fuß- oder Endnoten herbei.

Eine Lösung für die Konflikte kann der Autor naturgemäß nicht anbieten, sieht jedoch keine Hoffnung, solange die internationale Drogennachfrage ungebrochen bleibt. Bildung und ökonomische Sicherheit für die Unter- und Mittelschicht sind langfristig die einzigen Gegenmittel; doch daran scheinen die Eliten nicht interessiert.

Dass das Land neben den eingangs erwähnten Negativschlagzeilen mehr zu bieten hat – u.a. Rhythmen wie die cumbia, Weltliteratur von Gabriel García Marquez oder die Kunst des Fernando Botero – das bleibt dem Leser auch nach der Lektüre von Königs Buch verschlossen. Auf dem Umschlag des Buches sind zwar u.a. ein Gemälde von Botero und ein Porträt von Gabriel García Marquez zu sehen, aber das ist reine Verlagsstrategie; im Buch keine Spur von Kultur, nichts… Ein kurzes Kapitel zur Kultur in dem o.g. Schwergewichte, aber gerne auch Idole von heute – Juan Pablo Montoya oder Shakira – vorgestellt und die Hauptlinien der kolumbianischen Kultur nachgezeichnet werden, hätte nicht geschadet, sondern weitere Leser für das Land (und das Buch) interessiert. Aber diese Kritik habe ich – mal stärker, mal schwächer – schon bei anderen Büchern dieser Reihe angeführt. An der Kultur(Geschichte) interessierte Leser brauchen diese Buchreihe nicht zu kaufen. Sie ist (leider) rein auf politische und ökonomische Ereignisse ausgerichtet, bietet damit allerdings einen guten Einstieg in die Hintergründe der aktuellen Situation.

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