Kein Land ist derzeit so sexy wie Kuba

Seit 25 Jahren schreibt Jens Glüsing als Korrespondent und Autor von Sachbüchern über Lateinamerika. Jetzt hat er sich einen Traum erfüllt: ein Buch über Kuba. Es kam nur wenige Tage vor Fidel Castros Tod auf den Markt. Wir haben Jens Glüsing in Rio de Janeiro getroffen und zu Kuba und seinem neuen Buch befragt.

Caiman: Warum ausgerechnet jetzt ein Kuba-Buch?
Glüsing: Ich hatte schon immer vor, ein Buch über Kuba zu schreiben. Das ist ein spannender Moment, die Endzeit Fidels, die Öffnung zu den USA, Raúl Castro an der Macht und damit die Frage, wie es weiter geht. Und gleichzeitig stecken die anderen linken Regierungen in Lateinamerika in der Krise. Zudem ist das Interesse an Kuba im Verhältnis zu anderen Ländern der Region sehr groß. Viele Touristen wollen die Insel jetzt noch einmal sehen, solange sie ein lebendes Museum des Sozialismus untergegangener Zeiten ist. Aus all diesen Gründen ist kein anderes Land der Region derzeit so sexy wie Kuba, wenn ich das mal so profan sagen darf.

Caiman: Was ändert sich denn jetzt mit Castros Tod?
Glüsing: Ich denke, erst einmal nichts. Vor zehn Jahren ist Fidel erkrankt und Raúl macht den Job jetzt schon ein paar Jahre und sitzt fest im Sattel. Auf Kuba gab es stets diesen Witz: was kommt nach Fidels Tod? Eine große Beerdigung! Ich glaube, der wirkliche Einschnitt in Kuba wird das Regierungsende oder der Tod Raúls sein. Denn er ist der Mann des Systems, er ist der Mann der Partei, der Mann der den ganzen Laden zusammenhält. 2018 will er zurücktreten, er wird jedoch versuchen, weiter die Macht über die Partei zu behalten. Aber auch er ist 85 Jahre alt – und nicht unsterblich. Auch wenn er jetzt noch sehr fit wirkt. Aber ich glaube, sobald er abtritt, auf die eine oder andere Weise, dann sind in Kuba Änderungen und vielleicht sogar Unruhen zu erwarten. Dann wird eventuell die Situation weitaus angespannter sein als sie es jetzt ist.

Caiman: Wer steht denn als Nachfolger bereit?
Glüsing: Miguel Díaz-Canel ist zum Kronprinzen auserkoren worden. Er ist Mitte Fünfzig, Fan der Rolling Stones und gilt als Reformer und als ehrlich. Und das ist wichtig, denn auch in der Nomenklatura der Kommunistischen Partei herrscht mittlerweile viel Korruption. Außerdem hat Díaz-Canel bisher keine Fehler gemacht. Er ist der erste Vize-Präsident von mehreren und ich bin nicht sicher, ob er derart viel Macht auf sich vereinen wird können wie es jetzt Raúl tut. Vielleicht wird die Partei auch versuchen, den nächsten Präsidenten stärker zu kontrollieren und Raúls Posten mit eigenen Leuten zu besetzen. Das muss man abwarten. Aber Kuba ist immer für Überraschungen gut, bis dahin kann dann auch jemand ganz anderes auftauchen. Man muss aber sagen, dass Raúl eigentlich stets berechenbarer war als Fidel. Insofern deutet alles darauf hin, dass Miguel Díaz-Canel das Rennen machen wird.

Caiman: Wie sattelfest ist die Revolution eigentlich noch? Wie steht es um sie? Laufen die Dinge so toll wie man sie gerne darstellt?
Glüsing: Natürlich nicht. Die Revolution steckt in der Krise, und jetzt geht es genau genommen darum, die Macht zu sichern. Was Raúl und seinen Genossen vorschwebt, ist ein System wie in China oder Vietnam, wo eine Marktwirtschaft eingeführt, aber gleichzeitig die Herrschaft der Kommunistischen Partei beibehalten wird. Ob das in Kuba, also im Schatten der USA, gelingt? In einem kleinen Land, das nicht die Produktivität Vietnams oder Chinas hat und auch nach einer möglichen Liberalisierung nicht haben wird – denn Kuba hat in diesem Punkt die gleichen Schwächen wie die anderen lateinamerikanischen Länder. Ob das also gelingen wird, ist fraglich. Trotzdem denke ich, dass dies das angedachte System ist. Politische Reformen wird es nicht geben, die Macht soll bei der Partei bleiben. Aber in wirtschaftlicher Hinsicht lässt sich in Kuba mittlerweile über alles reden. Und jetzt, da Raúl nicht mehr Fidel im Nacken sitzen hat, der ja gegen viele Reformen war, könnte es sein, dass Raúl den Reformkurs sogar beschleunigen wird.

Caiman: Welche Rolle spielen denn die Exil-Kubaner in den USA?
Glüsing: Kuba hat halt den Nachteil, im Schatten der USA zu liegen, wo es eine große Exilgemeinde gibt. Von da wird eine Menge Druck kommen, nicht nur in Bezug auf die Öffnung der Wirtschaft, sondern auch auf eine politische Erneuerung. Schaut man sich die Geschichte Kubas an, dann wurde die Zukunft Kubas zum großen Teil in Washington entscheiden. Und aus dieser Zwangslage kommen sie nicht raus. Und vieles wird davon abhängen, wie sich die Politik der USA entwickelt, wen die Regierung in Washington fördert oder bekämpft.

Caiman: Der Druck aus den USA hat aber auch immer zu Gegenreaktionen geführt. Auf Kuba war es ja stets eine Art Auszeichnung, wenn man die USA als Gegner hatte….
Glüsing: …ja, da halten die Kubaner zusammen. Solche Systeme funktionieren immer dann am besten, wenn sie unter Druck von außen stehen. Es schweißt zusammen, sich auf einen gemeinsamen Feind einigen zu können. In Kubas Geschichte der letzten 50 Jahre hat sich immer wieder gezeigt, dass sich das Geschehen verhärtet, sobald die USA die Zügel anziehen. Mit mehr Druck einen Systemwandel zu erzeugen funktioniert nicht. Obama hat das erkannt und richtig gehandelt: okay, es ist kein demokratisches System, aber wir haben 50 Jahre lang versucht, es zu bekämpfen und es zu stürzen. Aber das funktioniert nicht.

Caiman: Wie wird es in zehn Jahren auf Kuba aussehen?
Glüsing: Die Oldtimer werden dann wohl als Touristenattraktion durch die Gegend fahren, und nicht mehr als normales Verkehrsmittel. Ansonsten ist es schwer vorauszusehen. Es hängt stark davon ab, was in den USA geschieht. Und davon, wie sich die junge Generation auf Kuba entwickelt. Was man sagen kann, ist, dass es ein weitaus marktwirtschaftlicheres System sein wird als jetzt. Denn das ist nicht zurückzudrehen. Die Wirtschaft wird weitaus offener sein. Aber politisch können wir da noch einige Überraschungen erleben. Vielleicht sogar politische Unruhe. In Kubas Geschichte hat es wenig Zeiten gegeben, in denen es friedlich zugegangen ist und in denen ein Systemwechsel friedlich vonstatten ging. Eine 10-Jahres-Prognose abzugeben ist schwierig. Aber ich würde mal tippen, dass Kuba dann ein kapitalistisches Land mit einer unruhigen politischen Gegenwart sein wird.

Interview + Foto: Thomas Milz

Titel: Kuba: Von der Revolution der Armen, Havanna und Chevrolets, Amis und Zuckerrohr
Autor: Jens Glüsing
ISBN: 978-3737407328
Seiten: 144
Verlag: Corso ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Auflage: 1 (13. Oktober 2016)