Grüne Wüsten

In Deutschland stehen Kühen in der konventionellen Stallhaltung zwei Quadratmeter zu. Schweine bekommen nur einen Quadratmeter. Doch unsere intensive Nutztierhaltung verbraucht trotzdem jede Menge Platz – und zwar in Südamerika. Dort wird auf riesigen Flächen Soja als Futter für unsere Massentierhaltung angebaut. Ganze Landstriche haben sich in Monokulturen verwandelt, die von Umweltschützern auch als „Grüne Wüsten“ bezeichnet werden. Es sind Monokulturen, auf denen Unmengen Chemikalien versprüht werden.

Es ist später Nachmittag, die Sonne geht gerade unter. Eigentlich müsste jetzt das in den Tropen übliche laute Vogelkonzert von dem noch lauteren der Zikaden abgelöst werden. Doch es ist fast gespenstisch still, nur die Hühner von Doña Evangelista gackern noch ein wenig, bevor sie ihre Köpfe unten die Flügel stecken.

„Seit zehn Jahren wird rund um mein Land herum Soja angebaut. Das Gift, das die Sojafarmer auf ihren Feldern versprühen, weht zu mir rüber und vernichtet meinen Mais und meine Bohnen. Manchmal sterben sogar meine Hühner“; erzählt Evangelista Postille. Doña Evangelista Postillo, 53 Jahre alt, ist Besitzerin eines der letzten kleinbäuerlichen Höfe im Osten Paraguays. Eine rundliche, bekümmert wirkende Frau, die fünf Kinder großgezogen hat und vor der Zeit gealtert ist. Ein kleiner Hof, das bedeutet in Paraguay zehn Hektar Land, auf denen das Notwendigste für den Eigenbedarf angebaut wird. Früher reichte das zum Überleben, doch heute erntet Doña Evangelista immer weniger. „Sie sprühen gleich da drüben“. Doña Evangelista zeigt auf das angrenzende Feld, keine zehn Meter entfernt von ihrem Haus, einer blau gestrichenen Bretterbude. „Es gibt ein Gesetz, das einen Mindestabstand zu den Nachbarn und zu Bächen vorschreibt. Außerdem müssten sie Bäume am Rand ihrer Felder pflanzen, damit sich das Gift nicht so verteilt. Aber die Großgrundbesitzer halten sich einfach nicht daran. Und wir können nichts dagegen tun.“

Dass eine einfache paraguayische Bäuerin überhaupt weiß, dass es offiziell Gesetze zu ihrem Schutz gibt, ist schon ein Fortschritt. Nicht, dass der viel nutzen würde. Doch Luis Rojas Villagra verbucht es dennoch als Erfolg, dass sich langsam das Wissen darüber verbreitet, was Soja anrichtet. „Eines der Probleme des Sojaanbaus ist, dass er enorme Mengen an Pestiziden braucht. Am Anfang hieß es, mit den gentechnisch veränderten Pflanzen brauche man weniger Pestizide. Aber die Praxis zeigt, dass man mit der Zeit immer mehr braucht, weil das Unkraut Resistenzen gegen das Gift entwickelt. Innerhalb von vier Jahren hat sich der Verbrauch fast vervierfacht. Die Erde wird geradezu mit Gift bombardiert.“ Nur der gentechnisch veränderten Sojapflanze können die Pflanzenschutzmittel nichts anhaben. All dieses Gift gelangt in die Umwelt, ins Wasser, in die Luft und in die Erde. Luis Rojas Villagra ist der Direktor von BASE IS mit Sitz in der paraguayischen Hauptstadt Asuncion. Die Umwelt- und Hilfsorganisation wird unter anderem von Misereor unterstützt und dokumentiert seit 1982 die Auswirkungen der Monokulturen auf die Umwelt und die ländliche Bevölkerung. „Das Problem von gentechnisch verändertem Soja ist, dass es sich der Anbau nur lohnt, wenn man über große Flächen verfügt, denn die Kosten für das Saatgut, die Pestizide und dann noch die ganzen Maschinen sind sehr hoch. Es rechnet sich nur, wenn man Monokultur betreibt und ein großes Gebiet beackern kann“, erklärt Villagra.

Und so breitet sich die Sojapflanze immer weiter aus. Inzwischen steht sie auf drei Viertel der gesamten Ackerfläche Paraguays. Die letzten Wälder des einstigen Tropenwaldlandes verschwinden, Flüsse und Bäche werden umgeleitet, um die Anbaufläche zu vergrößern. Villagra: „Dort, wo Soja angebaut wird, ist „grüne Wüste“. Man sieht keine Bäume, nur selten einen Vogel fliegen und hört keine Insekten. Man sieht auch keine Tiere auf der Erde, weil diese vergiftet ist. Es ist in der Tat eine Wüste, in der es keinerlei Bioversität mehr gibt.“

Auch für Menschen sind die Unkraut- und Insektengifte schädlich. Bis vor kurzem handelte man sich mit diesem Aussage schnell eine Abmahnung der transnationalen Herstellerfirmen ein. Doch im März 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation Glyphosat, das weltweit am meisten verwendete Herbizid, als „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ ein. Auch andere Pflanzenschutzmittel landeten auf der schwarzen Liste. Doña Evangelista weiß davon nichts, aber dass die auf den Feldern um sie herum versprühten Mittel gesundheitsschädlich sind, das erfährt sie regelmäßig am eigenen Leib: „Immer kurz, nachdem gesprüht wurde, bekomme ich einen schweren Ausschlag. Viele Kinder hier in der Gegend haben plötzlich Probleme mit den Augen und wir glauben, dass das etwas mit den Pestiziden zu tun hat.“

Es gäbe keine Beweise dafür, dass der Sojaanbau negative Auswirkungen habe, heißt es von Seiten der Sojaproduzenten. Die paraguayische Regierung sieht den Sojaanbau als wichtigen Wirtschaftsfaktor. Der Sojaexport ist ein gutes Geschäft, die eiweißreiche Bohne wird vor allem für Schweine, Puten und Kühe in der Massentierhaltung Europas gebraucht und gut bezahlt. Großgrundbesitzer, Politik und Medien sind in Paraguay eng miteinander verflochten, das Thema Soja und Gesundheit versuchen sie totzuschweigen.

„Es gibt eine Ärztin, die dazu geforscht und einen Zusammenhang zwischen Frühgeburten und sich ausbreitendem Sojaanbau hergestellt hat. 40 Prozent der Neugeborenen im Department Itapúa sind unterentwickelt oder haben Fehlbildungen. Aber in den Gesundheitsstationen wird nicht einmal Buch darüber geführt, inwieweit Krankheiten mit Pflanzenschutzmitteln in Verbindung stehen könnten“, erzählt Blanca Mendez.

Blanca Mendez leitet die Sozial-Abteilung der katholischen Kirche in dem Städtchen San Pedro. Die Kirche ist die einzige nennenswerte Institution, die sich um die Menschen kümmert, die unter dem Sojaanbau leiden. „Es geht darum, das Leben zu verteidigen, denn das Leben der Menschen hängt von unseren natürlichen Ressourcen ab. Und es ist auch eine Frage der Menschenrechte, denn der Mensch hat ein Recht darauf, in einer gesunden Umwelt zu leben“.

Die Kirche klärt die ländliche Bevölkerung über diese und andere Rechte auf, sagt den Menschen, welche Gesetze die Sojaproduzenten einhalten müssten und versucht, den Widerstand gegen die Großgrundbesitzer zu organisieren. Es sei höchste Zeit, dass etwas geschehe, sagt Blanca Mendez: „In dieser Zone des Landes sind wir hier die letzte Gegend, in der noch nicht zu einhundert Prozent Soja angebaut wird. Hier gibt es noch Natur und Kleinbauern, hier gibt es noch Land, das wir verteidigen können. Aber wenn die Menschen keine Unterstützung bekommen, dann werden wir es an die Sojaproduktion verlieren.“

Die holprige Straße zu Doña Evangelistas Hütte ist weit und breit das einzige, was nicht von grünen Sojafeldern bedeckt ist. Keine Gehöfte, keine Wälder, keine Wiesen mit Kühen. Hinter einer Kurve erscheint plötzlich eine Kirche und gleich daneben ein Friedhof mit fast fröhlich bunten Grabsteinen. Früher gab es hier mal ein Dorf, inzwischen wohnen nur noch wenige Menschen in dem Landstrich. Sie haben ihr Land verkauft. Viele sahen nur das Geld, das ihnen geboten wurde. Andere gaben auf, weil sie neben den Sojafeldern nicht überleben konnten. Seit sich der Sojaanbau in Paraguay ausbreitet, wächst der Armutsgürtel rund um die Hauptstadt rasant. Doch Doña Evangelista ist geblieben. Sie hat bislang jedes Angebot abgelehnt ihr Land zu verkaufen, und verteidigt es, so gut sie kann: „Ich habe eine Barriere aus Bäumen und Zuckerrohr rund um mein Land gepflanzt, damit das Gift nicht so leicht vom Wind herüber geweht wird. Das müssten eigentlich die Sojabauern tun, aber sie machen es nicht. Also tu ich es.“

Wenn sie sieht, dass gesprüht wird, sperrt sie die Hühner ein – noch ein Tipp, den sie von der Sozial-Abteilung der katholischen Kirche bekommen hat. Die rieten ihr auch, mit Kuh-Urin und Knoblauch das Ungeziefer zu vertreiben, das plötzlich in Massen auftritt, weil außer Doña Evangelistas kleinen Feldern alles mit Pestiziden behandelt wird. So sehr die Kleinbäuerin diese kleinen Erfolge auch feiert, sie weiß, dass sie auf verlorenem Posten steht: „Wenn wir uns richtig wehren wollten, müssten wir uns mit den Großen anlegen. Die haben viel Geld für gute Anwälte, ich habe nicht mal genug, um regelmäßig in die nächste Stadt zu fahren, um vielleicht vor Gericht auszusagen. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem ich nicht mehr durchhalten kann und mein Land verkaufen muss. Dieser Tag wird kommen, denn hier in Paraguay gewinnen immer die Mächtigen.“