Der Fang von Zitteraalen

Versetzen wir uns in die Situation des jungen Carl Sachs: Im zarten Alter von 22 Jahren beauftragt ihn die Universität Berlin mit der Erforschung des Zitteraals im fernen Venezuela. 1876 begibt er sich für anderthalb Jahre auf Reisen. Sachs landet in La Guaira, verbringt die ersten Wochen seines Aufenthaltes in Caracas und zieht dann über Valencia in die Llanos, seinem eigentlichen Ziel, an welchem er die wissenschaftlichen Untersuchungen am „Gymnoten“ (Zitteraal) vornehmen wird.

Begeistert von der Fremde lässt er sich von Natur und Menschen verführen. Er rühmt die Herzlichkeit der Venezolaner und erfreut sich am Lachen der Señoritas genauso wie an Schmetterlingen und Kolibris. Bester Stimmung und frohen Mutes gelangt er in das Dorf El Rastro am Caño de Bera – dort wo sich Ameisenbär und Anakonda gute Nacht sagen.

Bis zu diesem Punkt verläuft sein Vorhaben problemlos. Einzig der in den letzten siebzig Jahren stark gestiegene Preis für Pferde bereitet ihm ein wenig Kopfzerbrechen. Pferde sind für den „embarbazcar con caballos“ eigentlich notwendig, doch Sachs plant bereits den Einsatz von Eseln, die in der Anschaffung wesentlich billiger wären. Er will dies an Ort und Stelle mit erfahrenen Gymnotenfängern besprechen.

Alexander von Humboldt: Der Kampf zwischen Aal und Pferd 

Bereits zu Schulzeiten war er fasziniert von den humbold’schen Erlebnissen. Der Kampf zwischen Aal und Pferd war im Deutschland des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Viele Naturkundebücher beinhalteten – oft im Orginalton Humboldts – dieses Ereignis. In knappen Worten sah (beschrieb) Humboldt folgendes:

Pferde wurden in einen Tümpel getrieben, in dem sich die Aale befanden. Durch das Gestampfe fühlte sich der am Grund ruhende Fisch belästigt und versuchte, sich möglichst an den Bauch der Pferde heftend, den Eindringling mit elektrischen Stößen zu vertreiben. Die Pferde konnten nicht entfliehen, da sie durch Stockhiebe durch die Llaneros im Becken gehalten wurden. Sie stürzten und einige starben, aber nach geraumer Zeit waren die Aale entkräftet und „entladen“ und konnten, jetzt an der Oberfläche schwimmend, von Indianern oder Llaneros einfach gefangen werden.

Noch am Abend seines ersten Tages in El Rastro versammelt Sachs die Männer des Dorfes um sich. Er beginnt, sein Vorhaben zu schildern und wird aufgrund der ungläubigen Blicke seiner Zuhörer immer detaillierter. Das anfängliche Nichtverstehen weicht einem Raunen und Schmunzeln und bald brechen die Steppenmänner in schallendes Gelächter aus.

Erst nachdem sich die Situation einigermaßen beruhigt hat, erfährt Carl Sachs, dass sich die Gymnoten viel einfacher mit Schnur und Haken fangen lassen und es keinen Aufwand à la Humboldt bedarf.

Sachs, der arme Kerl, musste die folgenden Tage sicherlich den ein oder andere Spott über sich ergehen lassen; und speziell an den feucht-fröhlichen Abenden wird der „embarbazcar con caballos“ thematischer Gegenstand diverser Sängerwettstreite (s. Archiv: Cowboys im Sängerwettstreit) gewesen sein. Aber – und das entschädigt den jungen Forscher für die erfahrene Pein – Sachs konnte schon am 2. Tag am Caño de Bero mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen beginnen, ohne bereits im Vorfeld seine finanziellen Mittel mit dem Kauf von Pferden erschöpft zu haben.

Bei aller Ehrfurcht vor dem größten Mann der Wissenschaft seine folgende Gedanken erlaubt:

  • War der „embarbazcar“ speziell für ihn inszeniert worden, oder handelt es sich gar um eine künstlerische Performance venezolanischer Steppensöhne?
  • Hatte gar Humboldt selbst diesen „Test“ veranlasst?
  • Oder fällt dieses Ereignis unter sein Verständnis von „poetischen Naturbeschreibungen“, einen Mix aus 50 % wissenschaftlicher Genauigkeit und 50 % Poesie, mit denen er das Interesse der Leser für die Fremde wecken und diese für fremde Länder und Kulturen begeistern wollte?