Catalunya – Nation?

„Früher gab es die Pesete. Heute den Euro. Früher bekamen wir Post. Heute Emails. Es gibt keinen Zweifel: seit wir vor 26 Jahren das Statut beschlossen haben, hat sich viel verändert.“ So wirbt die katalonische Nationalregierung – die geschichtsträchtige Generalitat – für einen neuen „Staaten“-Vertrag mit Spanien. Die Beziehung zwischen beiden ist etwas angespannt.

2014 sind es 300 Jahre, seit Katalonien fatalerweise im Erbfolgekrieg auf das falsche Pferd setzte. Die Bourbonen besetzten am 11. September 1714 das rebellische Barcelona. Als Strafe für dessen Festhalten am österreichischen Kandidaten für den spanischen Thron wurde nicht nur die Stadt zerstört, sondern auch alle speziellen Rechte Kataloniens außer Kraft gesetzt.

 

Etwas mehr als 200 Jahre später gab es ein kurzes Aufflackern der katalonischen Selbstregierung. Die damit verbundenen Hoffnungen wurden aber von einem etwas zu kurz geratenen Mann restlos vernichtet: für Francisco Franco war Spanien „groß“ und „eins“. Da hatten kulturelle Parallelwege keine Chance. Wer damals Katalanisch sprach und Pech hatte, liegt heute in einem der vielen – oftmals versteckten – Massengräber.

Mit der Demokratie kam auch ein vorsichtiger Föderalismus. Und ein Statut, ein Vertrag also, der fortan die Beziehung Kataloniens mit Spanien regeln sollte. Das ist nun 26 Jahre her und es ist an der Zeit, das Statut zu erneuern. So weit, so gut. Nur ist leider in Spanien noch immer eine gewisse Bipolarität festzustellen und von gegenseitiger kultureller Akzeptanz ist wenig zu spüren. Dafür hört man die Leitkulturhammel umso deutlicher blöken. Und das auf beiden Seiten.

Für Deutsche ist der ganze Themenkomplex eher schwer zu verstehen und allgemeines Kopfschütteln die meist gesehene Reaktion – von Ablehnung vielleicht mal abgesehen. Zwar finden sich auch in Deutschland regionale Eigenheiten wie etwa das bayerische Oktoberfest oder der rheinische Karneval, aber sie werden als regionale Eigenheiten akzeptiert.

Sind die Deutschen also im Vergleich besonders kulturtolerant? Wer die Leitkulturdebatte vor einiger Zeit verfolgt hat, kann hier nur schmunzeln. Vielmehr sind die fundamentalen Unterschiede zu Spanien darin zu suchen, dass irgendwer irgendwann die blendende Idee hatte, Deutschland ein föderalistisches System zu geben. Leider hat Spanien diese Chance verpasst.

Zurück nach Katalonien. Die Verhandlungen für den neuen Staatenvertrag zaubern Farbe ins Gesicht der radikaleren Vertreter auf beiden Seiten der Barrikaden. Die Gründe entbehren, wie immer bei Pseudodebatten, nicht einer gewissen Peinlichkeit. So heißt es im ersten Paragrafen des Vertragsentwurfs: Katalonien ist eine Nation. Mir ist nicht bekannt, ob diese Klausel nur aufgenommen wurde, um Verhandlungsmaterial in der Hinterhand zu haben. Im Sinne von: ich nehme das hier raus, aber dafür bleibt das andere drin. Wenn das der Fall sein sollte, ist die folgende Argumentation völlig sinnlos, und der Unterzeichnende wird alles zurücknehmen und das Gegenteil behaupten. Einen geschickten Schachzug wird er es dann nennen.

Im Moment aber erhitzen sich die Gemüter an eben diesem Begriff. Dabei weiß eigentlich keiner, was er eigentlich bedeuten soll. Ein geschwinder Blick in das Wörterbuch hilft da wenig, denn „große, meist geschlossen siedelnde Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden“, lässt alle Türen offen.

Diese Debatte ist total sinnlos und meines Erachtens nach auch künstlich herbei geführt. In den Jahren, die ich in Katalonien lebe, habe ich bis auf wenige Ausnahmen die Ureinwohner hier als erfreulich tolerante und sehr praktische Wesen kennen gelernt. Auch linguistisch. Dass die einem Ausländer gegenüber bewiesene Toleranz nicht immer auch auf spanische „Einwanderer“ angewandt wird, lässt sich vielleicht historisch verstehen – wenn auch nicht gut heißen. Nun muss man sich das nicht so vorstellen, als gäbe es hier einen linguistischen Grabenkrieg oder als würden ständig Messer gezückt, wenn die falsche Sprache über die Lippen kommt. Der berühmte Spruch „Setze jutges d’un jutjat menjen fetge d’un penjat“ (Sechszehn Richter eines Gerichts essen Leber eines Gehängten) ist schon längst in Rente gegangen. Der Legende nach diente der für Spanier schwer auszusprechende Satz in erwähntem Erbfolgekrieg als Entscheidungskriterium für eine potenzielle Exekution.

Auf der anderen, der spanischen Seite haben die Politiker der Rechten es verstanden, sich das kulturelle Unverständnis zu Nutze zu machen. Das ist genau so wenig überraschend wie angenehm. Seit das neue Statut nach Madrid gereist ist, um dort den Abgeordneten zur Abstimmung vorgelegt zu werden, schlagen mancherorts die Wellen hoch und höher. Die ehemalig regierende partido popular – oder auch Volkspartei, mit „Volk“ wie in „Völkisch“ – hat letzte Woche ihre neue, 500 000 Euro teure Kampagne gegen das Statut vorgestellt. Der Radiosender COPE der katholischen Kirche hat bereits zum Boykott katalonischer Waren aufgerufen – und die katalonischen Bischöfe haben heute erklärt, dass sie nichts gegen ihren Zerberus unternehmen können (oder wollen?). Viel Rauch also.

Die wahren Gründe für das dahinter stehende Feuer sind – wie immer – wirtschaftlicher Natur. Bisher gehen nämlich die Steuern zunächst nach Madrid, wo sie dann verteilt werden. Ein Teil dieser Steuern kommt dann mehr oder weniger postwendend zurück. Doppelter Weg dachten einige und haben ins Statut hinein geschrieben, dass die Steuern künftig in Katalonien erhoben werden und dann ein entsprechender Obolus nach Madrid abgeführt wird. Ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied.

Und dazu einer, der viel mehr Zweifel aufdeckt, als man zunächst vermuten möchte. Dahinter steht nämlich die absolut und total ungeklärte Frage, wie es in einem zukünftigen Europa mit der inneren Solidarität gehalten wird. Wer wird in Zukunft bestimmen, in welchem Grade die Bewohner Europas ein Recht auf gleiche wirtschaftliche Rahmenbedingungen haben? Oder ist dieser gegenseitige Ausgleich vielleicht vorbei, vielleicht ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert?

Nicht dass man mich falsch versteht: ich glaube nicht, dass Katalonien aus dem spanischen Solidarbund austreten will. Ebenso wenig glaube ich, dass Deutschland ein selbes will, nur weil es Beiträge zur Europäischen Union kürzt. Aber die Frage, die sich hinter all dem Nationenklamauk auftut ist die: wer hat das Entscheidungsrecht darüber, wie viel „Solidarität“ genug ist?

Katalonien könnte jetzt mit Recht sagen: ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer für Europa. Tatsächlich wird hier die Autorität des Staates herausgefordert und dessen „gute Verwaltung“ in Frage gestellt. An einer eingehenden Diskussion dieser Fragen vermag ich nichts auszusetzen. Schade nur, dass sie nicht stattfinden wird, denn vor lauter Rauch brennen einem die Augen.