Billy Cobham – Mit 60 nach Panama

Billy Cobham ist einer der bekanntesten Jazz- und Fusion-Schlagzeuger der Gegenwart. Immer neue Projekte machen es erfreulicherweise schwer, ihn in eine Schublade zu stecken. Vor seinem Konzert auf der Düsseldorfer Jazz Rally sprach Torsten Eßer mit dem Musiker, der im Frühjahr seinen 60. Geburtstag gefeiert hat.

Eßer: Ihr letztes Projekt „Culture-Mix“ war funky, fast poppig. Aber Sie machen gleichzeitig auch Alben wie „The Art of Three“ oder „The Art of Five“. Wie passt das zusammen?

Cobham: Ich schreibe gerade ein Buch, das Teil eines Multimedia-Projektes ist. Hauptthema ist, wie wir Menschen als soziale Elemente auf dieser Erde funktionieren, unabhängig von Hautfarbe, Religion usw. Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, scheint es egal zu sein, wo man herkommt. Wichtig ist, ob Du deine Aufgabe erledigen kannst oder nicht.

Aber es kommt eben doch darauf an, woher Du kommst, denn die Herangehensweise an eine Aufgabe hängt meiner Meinung nach sehr von deiner Herkunft und Erziehung ab: Ein Türke und ein Deutscher, die mit- und nebeneinander groß geworden sind, aber in ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld, gehen anders an die gleiche Aufgabe heran.

So ist es auch im Jazz: Die individuelle Improvisation hängt von der Herkunft und Erziehung ab, vom Leben off-stage. Das beeinflußt die Performance on-stage. Es gibt keinen Musiker ohne Geschichte: Ich z.B. habe meine Karriere im klassischen Trio begonnen. „The Art of Three“ ist eine Rückkehr zu diesen Wurzeln und zeigt, wie drei Leute in einer kleinen „Firma“ zusammenarbeiten. Alle sind Amerikaner, mit dem gleichen generellen Jazz-Verständnis, und stammen aus einer Generation. „The Art of Four“, die bald herauskommt, ist dem noch sehr ähnlich.

„The Art of Five“ zeigt, wie dieses amerikanische Konzept von Europäern bzw. Nicht-Amerikanern in eine eigene Sache verwandelt wird. „Culture Mix“ kommt dem sehr nahe. „The Art of Seven“ wird das noch erweitern, bis wir zum ganz großen Format kommen, das ich übrigens schon vor drei Jahren mit dem London Jazz Orchestra eingespielt habe.

Alle Alben zusammen zeigen, dass das was wir on-stage tun, nur ein Spiegel dessen ist, was wir off-stage leben. Und das reicht bei mir von Funk bis Bebop und noch weiter.

Eßer: Wenn wir vom Einfluß der Erziehung, Kindheit etc. sprechen, dann wenden wir uns nun Ihrer Heimat Panama zu. Sie verließen sie schon mit drei und hatten wohl noch nicht viel von der dortigen Musik wie décima oder saloma mitbekommen. Wurde sie Ihnen später vermittelt, z.B. durch ihre Eltern?

Cobham: Meine Eltern waren Musiker. Als sie in die USA kamen, spielten sie nach wie vor Musik aus Panama, auch weil wir dort Teil der panamaischen Gemeinde waren. Mein Bruder, ein Trompeter, ist in Brooklyn geboren, spielte aber immer in Latin-Bands. Das einzige, was wir nicht gelernt haben – und das hat viel mit den sozialen Verhältnissen in den USA zu tun, und mit Eltern, die ihre Kinder schützen wollen – war Spanisch. Aus heutiger Sicht eine schlechte Entscheidung meiner Eltern, aber sie hatten Angst: In New York gab es viele Latino-Gangs und meine Mutter wollte nicht, dass wir darein gerieten und auch nicht, dass wir in der Schule Probleme hätten. Sie dachte, in den USA spricht man eben Englisch. Nun muss ich mit 60 Jahren Spanisch lernen, weil ich nach Panama zurückkehren möchte. Aber wenn man ein Ziel hat, fällt es nicht schwer etwas zu lernen.

Eßer: Warum zurück nach Panama?

Cobham: Meine Eltern sind über 90 Jahre alt und möchten nochmal zurück. Und ich begleite sie.

Eßer: Als sie 1968 Ihr erstes Album mit George Benson aufnahmen, entstand in New York gerade die Salsa-Szene. Wieso sind Sie als Mitglied der Latino-Gemeinde nicht dort gelandet, sondern bei Funk, Soul und Jazz?

Cobham: Ich war zu dieser Zeit ein Studiomusiker und das hieß, dass Du alles gut spielen können musstest. Außerdem war ich musikalisch kein Mitglied der Latin-Community. Ich war bekannt dafür mit Leuten wie Ron Carter, Jimmy Owens etc. zu arbeiten, also Jazzern, die mit Latin nichts zu tun hatten. Für alle war ich ein Jazzer, manchmal ein Rock and Roller. Nichts in meiner Umgebung veranlasste mich Latin zu spielen, nur weil ich aus Panama kam.

Eßer: Aus Panama stammen drei international bekannte Musiker: Rubén Blades, Danilo Pérez und Sie. Haben Sie schon mal mit einem der beiden gespielt?

Cobham: Mit Danilo vielleicht, ich erinnere mich nicht genau, es war während eines Musikcamps. Rubén Blades habe ich nie getroffen. Ich habe einige Platten von ihm, aber das ist eine andere Welt, obwohl ich schon Projekte mit Ray Barretto gemacht habe.

Eßer: Warum leben Sie in der Schweiz?

Cobham: Es ist ein sehr friedlicher Platz. Um Stress auszuhalten, musst Du einen Platz in deinem Kopf haben und natürlich auch in der Realität, der off-limit von allem ist. So bin ich in Bern gelandet. Erst lebte ich einige Jahre in Zürich, aber dann war dort irgendwann soviel los wie in New York. Es gibt ein paar Sachen, die ich in den nächsten Jahren machen möchte: Dieses Buch bzw. Multimedia-Paket fertig stellen; mein Marimba- und Xylophon-Spiel verbessern, um meine musikalische Basis auszudehnen, für neue Projekte. Dafür brauche ich Ruhe und Beständigkeit.

Eßer: Dann werden wir eines Tages also ein Marimba-Album von Ihnen hören?

Cobham: Ja, bestimmt.

Eßer: Auf ihrem Album „By Design“ gibt es ein Stück namens „Panama“. Eine Hommage an Ihre Heimat?

Cobham: Ja, genau. Da spiele ich mit Larry Coryell. Es spiegelt wieder, wie Panama sein könnte bzw. wie es hätte sein können. Ich habe gehört, dass es zu einem hektischen Bankenzentrum geworden ist. Ich stellte es mir bei diesem Titel als geruhsames Land vor, wo die Zeit ein wenig stehen geblieben ist. Das soll das Stück zeigen.

Eßer: Sie haben ein Schlagzeug-Projekt für UNICEF in Brasilien gemacht. Worum ging es da?

Cobham: 1988 traf ich auf einem World-Percussion-Festival in Rom Musiker aus Nigeria, die den Nachnamen Cobham tragen, und wohl entfernte Verwandte von mir sind. 1992 gab es – wieder in Rom – eine Kampagne von UNICEF für die Schließung von Kliniken für geistig behinderte Menschen, vor allem in Südamerika. Das klingt zunächst widersinnig, aber ich erfuhr, dass viele von den Menschen in diesen Heimen nicht wirklich behindert waren, sondern nur ein wenig seltsam, und dass man sie deswegen weggesperrt hatte. So genannte „Dorftrottel“.

Früher durften diese Menschen frei in den Dörfern herum laufen, aber in der modernen Zivilisation geht das wohl nicht mehr. Nun wollte man zeigen, dass diese Menschen durchaus in der Gemeinschaft leben können, so ähnlich wie im Film „Rainman“. Und um herauszufinden, ob diese Menschen reagierten, entschied man sich für einen Versuch mit Percussion und Schlagzeug. Ich wurde mit meinen nigerianischen „Verwandten“ eingeladen, während einer Konferenz vor rund 500 solcher Patienten zu spielen, irgendwo in Süditalien. Also trommelten wir und einige Nigerianer tanzten auch dazu. Viele Patienten schmissen sich daraufhin auf den Granitboden und nahmen die Schwingungen auf. Wohlgemerkt: Wir reden von 60-jährigen Menschen, die nie in ihrem Leben eine Regung gezeigt oder gesprochen hatten. Einige standen dann auf und sprachen in einem sehr altmodischen Italienisch. Ein voller Erfolg!

Danach wurden wir nach Brasilien eingeladen, um in São Paulo mit solchen Menschen zu arbeiten. Währenddessen fanden wir heraus, dass die Straßenkinder, die teilweise diese „Dorftrottel“ beschützten, unsere Hilfe viel dringender brauchten. Sie waren sehr krank, halb verhungert und litten sehr. Und viele Kinder wurden auch getötet. Ich arbeitete dann 1993 in einem Heim mit solchen Kindern und brachte ihnen Musik nahe.

Eßer: Hatten Sie ein Vorbild beim Schlagzeugspiel?

Cobham: Nein, aber ich genieße das Spiel von vielen Schlagzeugern. Um einige zu nennen: Roy Haynes, Buddy Rich, Daniel Humair, der auch heute hier auf der Jazz Rally spielt. Sie alle haben mich beeindruckt, aber nicht beeinflußt.

Eßer: Woran arbeiten Sie neben den „The Art…“-Alben noch?

Cobham: Mit den Musikern von „Culture-Mix“ arbeite ich an einem neuen Album namens „Colours“, das im Herbst erscheinen wird. Da treten auch einige Gäste auf, zum Beispiel spielt Guy Barker darauf „Flumpet“, eine Mischung aus Flügelhorn und Trompete.

Fotos: Torsten Eßer und amazon.de