Auf den Spuren der Schamanen

Im Gegensatz zu Caracas, wo uns die Schwüle beinahe den Atem genommen hatte, war es in Porto Ayacucho, der Hauptstadt des Staates Amazonas in der Nähe der kolumbianischen Grenze, richtig angenehm.

Von hier aus machten wir uns per Jeep auf den Weg zu Bolivar, einem Piaroa Schamanen, der in einer kleinen Siedlung in der Nähe von Porto Ayacucho lebt. Bolivar arbeitete mit seiner Frau noch auf dem Feld, als wir dort eintrafen. So blieb uns genügend Zeit, einen Dolmetscher zu finden. Eine Aufgabe, die nun Bolivars Sohn übernahm. Der frühere Schamanenanwärter des Dorfes, ein junger Mann, der als Übersetzer fungieren sollte, war durch ein Tranceerlebnis so traumatisiert worden, dass er mit dem Schamanentum nichts mehr zu tun haben wollte. Über den genauen Grund seiner Furcht schwieg er sich hartnäckig aus. Aus den Gesprächen mit Bolivar erfuhren wir einiges über das Schamanentum der Region.

Die Piaroa-Schamanen benutzen in ihren Zeremonien, ebenso wie andere Stämme im Gebiet des unteren Orinocos, Tabak – die Tabakpflanze gilt als heilig und hat eine herausragende mythologische Bedeutung – und eine Substanz namens Yopo.

Diese zu einer grünlich-grauen Masse komprimierten Samen werden während einer Zeremonie auf einer runden Schale mit einem Mörser zu feinem Pulver zermahlen. Das Pulver wird anschließend mithilfe eines Inhalators mehrere Male im Verlauf einer Zeremonie (bisweilen auch die ganze Nacht hindurch) eingenommen.

Der Inhalator besteht aus den Knochen bestimmter Vogelarten. Durch die beiden oberen Enden des Y-förmigen Gerätes zieht der Schamane das Yopo-Pulver in die Nase. Nach Gebrauch wird der Inhaltor sorgfältig mit einer Vogelfeder, die durch die hohlen Knochen gezogen wird, gereinigt.

Zur Intensivierung der Zeremonie kaut der Schamane Caapi ergänzt durch eine minzartige Pflanze, die vorne unter die Zunge geschoben wird. Yopo ermöglicht dem Schamanen, zu reisen. Damit sind Reisen in eine der anderen Wirklichkeiten, andere Dimensionen oder Realitäten, oder wie auch immer wir im Westen dazu sagen wollen, gemeint.

Auf die Frage, wohin er überall mit Hilfe des Yopo reisen könne, erzählt Bolivar, dass er die Vereinigten Staaten, Mexiko und einige weitere Länder der Erde überflogen habe; dass er die Erde und den Mond als Kugeln von oben gesehen habe; zu anderen Planeten gereist und den dort lebenden Bewohnern begegnet sei.
Pferde in Venezuela

Der Schamane berichtet weiter, dass er sich mithilfe von Yopo in einen Jaguar oder einen Vogel verwandeln könne, und so die Welt durch deren Augen wahrnehme. So gelange er an wichtige Informationen, die der Beantwortung von an ihn gestellten Fragen diene. Des weiteren könne er auf diese Weise verlorene Gegenstände wieder finden.

Ausbildung zum Schamanen

Nach den alten Piaroa Traditionen werden Kinder in der Generationsfolge bereits zum Schamanen geboren. Der neugeborene Schamane wird in einem Initiationsritual mit Tabak beblasen. Einige Jahre später muss er in einer weiteren Zeremonie zum ersten Mal Dada konsumieren, einen Tee, der aus Pilzen zubereitet wird. Etwa im Alter von 12 Jahren werden dem jungen Schamanenanwärter große Waldameisen auf den nackten Oberkörper gesetzt, deren äußerst schmerzhafte Bisse er einige Minuten lang ertragen muss.

In späteren Zeremonien werden dem Initianten spitze Stacheln in die Zunge gestochen, die mit einem flüssigen Film überzogen sind, der verhindert, dass das Blut gerinnt. Der Anwärter muss die Blutung allein durch seinen Willen zum Stillstand bringen. Während der Ausbildung zum Schamanen wird von dem Schamanenanwärter eine strenge Diät gefordert, die etwa im Falle Bolivars, nicht nur den Verzicht auf Fisch und Fleisch beinhaltete, sondern auch den verschiedener Früchte.

Frauen dürfen das Schamanenamt bei den Piaroa und anderen Völkern Venezuelas nicht ausüben. Und so stirbt in vielen Dörfern das Schamanentum aus.

Zum einen gibt es keine männlichen Nachkommen; zum anderen brechen Schamanenanwärter die Ausbildung aufgrund der Härte und strengen Vorschriften ab.

Flüche und Liebeszauber

Nicht alle Schamanen bringen ihre Kräfte ausschließlich für heilerische Zwecke zum Einsatz. Oftmals werden sie gerufen, um Liebeszauber oder Flüche auszusprechen.

So hörten wir von einer Frau, die von einem Schamanen verflucht worden war. Trotz ihrer jungen Jahre trocknet sie innerlich aus, alterte vorzeitig und verstarb nach nur zwanzig Monaten. Im Krankenhaus konnte auch nach gründlichen Untersuchungen die Krankheitsursache nicht festgestellt werden.

In einem anderen Fall war ein Piapoco Schamane während seiner Ausbildung von einem anderen mit einem Fluch belegt worden. Dieser bewirkte, dass von nun an sein Bein im 90° Winkel vom Körper abstand und nicht mehr bewegt werden konnte.

Um den ungewissen Ausgang des Fluches zu vermeiden, zog man einen weiteren Schamanen zur Hilfe, der zwar die Krankheit zum Stillstand bringen, das Bein allerdings nicht mehr retten konnte.

Sieben Tage später wurde uns dann noch eine außergewöhnliche Ehre zuteil. Bei unserer Reise tiefer in den Dschungel der Orinokozuflüsse wurden wir von vier Piaroa zu einer Höhle mit Felszeichnungen, die verschiedene Wesen aus Tier- und Menschenwelt darstellten, geführt. Sie hatten die Höhle selbst seit acht Jahren nicht mehr betreten, seit ihr Schamane verstorben war, der an diesem Ort die Geister gerufen hatte und in die andere Wirklichkeit gereist war.

Text + Fotos: Janine Tatjana Schmid