Ach, wie eng war Panama!

Teil 1: Die Mirafloresschleusen im Südosten Panamas: Langsam setzt sich die Rupanco aus Monrovia in Bewegung. An jeder Seite führen je drei straff gespannten Stahltrossen zu drei starken Lokomotiven. Sie führen das Schiff und sorgen dafür, dass es im Zentrum der Schleusenkammer bleibt. Und sie helfen dem Schiff, zu bremsen. Aber vor allem halten sie es in der Mitte. Der Kapitän der Rupanco winkt seinem Publikum zu und Dazzel Marshal grüßt zurück. Der junge Mann ist Mitarbeiter der panamaischen Kanalbehörde und trägt wie jeder, der hier arbeitet, eine hellblaue Krawatte, auf der kleine Schlepperboote abgebildet sind. „Das hier ist ein Panamaxschiff. Die Panamaxschiffe haben die maximale Breite, mit der der Kanal noch befahren werden kann. Da bleibt lediglich ein halber Meter auf jeder Seite“, erklärt er.

Das gut 32 Meter breite Schiff in die nur einen Meter breitere Schleuse hineinzuleiten ist Maßarbeit. Wenn man vor dem Containerschiff steht, wirkt es riesig, fast wie ein Hochhaus. Aber tatsächlich ist es ein verhältnismäßig kleines Schiff. Längst sind viel größere Frachter auf den Weltmeeren unterwegs. „Mehr als fünf Prozent der weltweit gehandelten Waren wird durch den Panamakanal geschleust. Es könnte noch viel mehr sein, aber im Moment haben wir Einschränkungen durch die Schleusen. Wenn die neuen Schleusen erst fertig gestellt sind, werden wir doppelt so viel Fracht haben. Und doppelt so hohe Einkünfte“, schwärmt Marshall.

Der Panamakanal ist neben dem Suezkanal in Ägypten die wichtigste künstliche Wasserstraße der Welt. Den Schiffen erspart er auf ihrer Reise vom Pazifik in den Atlantik den Umweg rund um Südamerika – rund 15.000 Kilometer. Diese Abkürzung lassen sich die Reeder einiges kosten – 74 US-Dollar werden pro geschleustem Standardcontainer fällig. Das kleine mittelamerikanische Land besitzt mit dem Kanal eine echte Goldmine. „35 bis 40 Schiffe pro Tag. Mehr als 14.000 Schiffe im Jahr. Je nachdem wie viel Fracht sie geladen haben, macht das 6 bis 7 Millionen Dollar täglich. Mehr als 2 Milliarden US-Dollar jährlich. Der Kanal ist Panamas wichtigste Einnahmequelle“, weiß Marshall. Damit das so bleibt, wird der Kanal erweitert. Er muss breiter und tiefer werden und braucht vor allem größere Schleusen, auf beiden Seiten des Kanals. Damit künftig auch die „Post Panamaxschiffe“ die Meeresstraße passieren können.

Nur eine kleine Landzunge trennte die Schleusen von der Baustelle. Oberhalb dieser Baustelle steht eine Aussichtsplattform. Miroslava Herrera, die Dokumentarin vom Panama Canal Expansion Program zeigt auf die vielen Bagger, Kräne und Lastwagen, die an der neuen, dritten Einfahrt in den Kanal arbeiten. Hier entsteht eine Megaschleuse mit drei Kammern. Jede einzelne wird 427 Meter lang und 55 Meter breit sein. Das entspricht jeweils der Größe von vier Fußballplätzen. „Das hier ist die Struktur, über die die Schiffe von der Karibik auf Höhe des Gatunsees angehoben oder in Gegenrichtung nach unten befördert werden sollen. Die meisten Betonarbeiten sind abgeschlossen. Die Mauern sind fertig hochgezogen und man erkennt bereits die Umrisse der gesamten Struktur, vom See bis runter auf Meeresniveau“, erklärt Herrera.

Auf der einen Seite glitzert die Karibik, auf der anderen der riesige Gatunsee, der die Landenge heute fast zur Hälfte unter Wasser setzt. Die Fahrrinne läuft mitten durch den Stausee. Eine ganze Reihe Frachter warten unten in der Kanaleinfahrt auf ihre Schleusung. In drei Stufen werden sie 26 Meter angehoben. Aber nicht, weil Pazifik und Atlantik unterschiedlich hoch wären. „Wir werden oft gefragt, welcher Ozean höher liegt – sie sind beide auf 0 Metern. Aber dazwischen liegt das Land mit einer Bergkette, die von Alaska bis Feuerland reicht. Das ist das Hindernis, auf das erst die Franzosen stießen, dann die Amerikaner und nun wir.“

Den Seeweg rund um das stürmische Kap Horn abzukürzen, das war schon kurz nach der Entdeckung Amerikas ein Traum der spanischen Krone. Gold aus Peru und Silber aus Bolivien wurden am Pazifik von den Schiffen auf Maulesel verladen und über Land auf dem „Camino del Oro“, dem Weg des Goldes, bis zur Karibik transportiert, um dort erneut auf Schiffe verladen zu werden. König Carlos V ließ bereits 1523 erkunden, ob es möglich wäre, die nur 82 Kilometer breite Landenge zu durchstechen.

Dazzel Marshall führt durch die Ausstellung im Besucherzentrum. Der Raum ist dämmrig, alte Fotografien, Modelle, Karten und altes Arbeitsgerät werden mit Geräuschen von Sprengungen untermalt ausgestellt. „Nachdem die Franzosen in Ägypten den Suezkanal gebaut hatten, baten sie um Erlaubnis, auch in Panama einen Kanal graben zu dürfen. Sie wollten einen Kanal auf Meeresniveau bauen. Nach 20 Jahren hatten Krankheiten wie Malaria und Gelbfieber mehr als 20.000 Menschen getötet. Noch wusste man nicht, dass Malaria und Gelbfieber durch Mücken übertragen werden. Die Franzosen hatten die Schwierigkeiten, die die Arbeit in den Tropen mit sich bringen würde, weit unterschätzt. Vor allem hatten sie nicht mit dem ständigen Regen gerechnet, der das gerade ausgeschaufelte Erdreich zurück in die Grube wusch.1889 gaben die Franzosen die Baustelle schließlich auf. 16 Jahre später setzten die US-Amerikaner das Projekt fort. Statt einem Durchstich durch Basaltgestein auf Meereshöhe entschieden die sich dafür, die Schiffe über Schleusen anzuheben. Sie hatten aus den Fehlern der Franzosen gelernt und schafften den Abraum mit Eisenbahnen weit weg von der Baustelle. Und sie profitierten davon, dass die Wissenschaft in der Zwischenzeit entscheidende Fortschritte gemacht hatte. In Cuba forschte Carlos Finlay darüber, wodurch die Krankheiten übertragen wurden. Alles, was man aus Cuba lernen konnte, wurde hier angewendet: Es wurde gesprüht, Straßen asphaltiert, Mückengitter an den Häusern angebracht. Und es wurde Benzin in kleine Tümpel geschüttet, damit sich die Mücken dort nicht entwickeln konnten“, erzählt Marshall.

Neun Jahre, nachdem mit dem Bau des Kanals begonnen worden war, wurde er 1914 eröffnet. Ein 82 Kilometer langer, künstlicher Wasserweg, der einen Kontinent durchschneidet und eine Verbindung zwischen zwei Ozeanen schafft – das ist ein gewaltiger Eingriff in die Natur, dessen Folgen sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Jenseits der Baustellen wirkt das Land tropisch grün. Doch Umweltschützer, die sich genauer mit dem Kanal beschäftigen, haben eine ganze Reihe an Problemen ausgemacht. Alida Spadafora von der panamaischen Umweltschutzorganisation ANCON sorgt sich besonders um die Erosion entlang des Kanals: „Wir haben in den 90er Jahren Studien durchgeführt und herausgefunden, dass jedes Jahr pro Hektar 200 Tonnen Erde in den Kanal geschwemmt werden. Das liegt daran, dass ein Teil des Kanals ein Gebiet mit sehr steilen Abhängen durchschneidet. Dort wächst nichts mehr, die Erde ist längst weggewaschen. Es regnet hier viel und jeder Regen wäscht mehr Erde in den Kanal.“

Das hat nicht nur zur Folge, dass die Fahrrinne regelmäßig ausgebaggert werden muss. Das Sediment wird über die Schleusen in die Ozeane geschwemmt und richtet vor allem in der Karibik schwere Schäden an. „Dort haben wir in der Nähe der Kanalausfahrt Korallen. Das Wasser, das aus dem Kanal kommt, ist voller Sediment, und das beeinträchtigt die Korallen. Sie brauchen kristallklares Wasser um zu überleben. Wenn Du da runter tauchst, dann siehst du, dass alle Korallenbänke tot sind. Und mit Sediment bedeckt“, berichtet Spadafora.

Die Studie von ANCON ergab, dass die Belastung durch Sediment aus dem Kanal um ein Vielfaches höher ist als bei einem natürlichen Fluss. Das liegt nicht nur an der Erosion, sondern auch daran, dass das Wasser bei den Schleusenvorgängen mit mehr Wucht Richtung Meer schießt. Dieses Problem besteht, seitdem der Kanal gebaut wurde. Doch mit dem Ausbau verschärft sich die Lage. Um das zu erkennen, reicht eine kurze Bootsfahrt. Im schlammfarbenen Wasser des Kanals arbeiten sich Baggerschiffe Kilometer um Kilometer vorwärts. Raupenbagger und anderes schweres Gerät fressen sich ins Ufer und haben tiefe Wunden in den sonst dichten Regenwald geschlagen. Alida Spadafora zeigt nach unten: „Wir sehen ein aufgewühltes, schokoladenfarbenes Wasser, das ist ganz offensichtlich eine Folge der Ausbauarbeiten. Das Erdreich am Ufer ist aufgerissen und wird von keinerlei Pflanzen mehr bedeckt. Und wir haben es hier mit Böden zu tun, die schnell erodieren.“ Die Erosion, so hat ANCON berechnet, steigt durch die Ausbauarbeiten noch mal um die Hälfte an.

Die Erweiterung des Kanals betrifft längst nicht nur den Bau der neuen Schleusen. Die Fahrrinne muss vertieft und der Kanal verbreitert werden. Sowohl auf der Pazifik- als auch auf der Atlantikseite wurde die 15 Kilometer lange Einfahrzone ausgebaut und vertieft, damit die größeren Schiffe dort sicher wenden können. Eine der größten Aufgaben ist der Bau der Zufahrt zu der neuen Schleuse auf der Pazifikseite. Die Abzweigung ist sechs Kilometer lang. „Es war eine Aushebung von 50 Millionen Kubikmetern. Enorm. Und alles reiner Basalt. Der Stein musste weggesprengt werden. Das wurde alles sehr vorsichtig gemacht – aber wir mussten Berge versetzen“, berichtet Herrera. Die Vertreterin der Kanalbehörde streitet keine Sekunde lang ab, dass der Ausbau gewaltige Eingriffe in das Ökosystem mit sich bringt. Aber sie betont immer wieder, dass vor jedem Bauabschnitt sorgfältig geprüft werde, wie groß die Auswirkungen auf die Natur sein würden und immer nach einer Lösung gesucht werde, die Umwelt möglichst wenig zu schädigen. Trotzdem wurden rund 500 Hektar Wald gefällt. Die dort lebenden Krokodile, Affen und Faultiere wurden zuvor eingefangen und umgesiedelt – eine in dieser Größenordnung einmalige Aktion. „Parallel zu allen Arbeiten haben wir einen Wiederaufforstungsplan. Für jeden gefällten Baum werden zwei neue gepflanzt.“

Dass sich die Kanalbehörde um die Wiederaufforstung kümmert, geschieht auch aus Eigennutz. Denn ohne Wald könnte der Kanal nicht betrieben werden. Und das nicht nur, weil die Erosion an den Ufern unkontrollierbar würde. „Der Kanal ist abhängig vom Wasser. Wenn wir kein Wasser haben, dann gibt es hier keinen Verkehr. Deshalb kümmern wir uns um den Wasserhaushalt rund um den Kanal“, so Herrera weiter.

Auf Google Earth sieht man recht deutlich, dass die Gegend um den Kanal zu den wenigen Gebieten Panamas gehört, in der es noch einen bedeutenden Waldbestand gibt. Mit dem Wiederaufforstungsprogramm stellt sich die Frage, welche Bäume in welcher Kombination auf welchem Untergrund gepflanzt werden müssen, damit der Wasserhaushalt optimal reguliert wird. Das sind Fragen, denen Wissenschaftler des Smithsonian Tropical Research Institutes in Panama Stadt nachgehen. Dr. Michiel van Breugel hält Setzlinge fünf verschiedener Baumsorten in den Händen und erklärt: „Sie haben alle unterschiedlich lange Wurzeln und verschiedene Wurzelsysteme. Sie speichern also das Wasser unterschiedlich. Wir nennen das den Schwammeffekt, wenn die Wurzeln das Wasser in der Erde zurückhalten und nur langsam abgeben.“

Der Niederländer Michiel van Breugel ist 42 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren in Panama. Auf insgesamt 265 Versuchsfeldern hat der Forstwissenschaftler in exakten Vierecken von 45 mal 49 Metern in akkuraten Reihen je 225 Bäume gepflanzt. Die Versuchsfelder liegen in einer hügeligen Landschaft, nicht weit von der Autobahn Richtung Karibik. Ein kleiner Bach rauscht den Hügel hinunter. Manche der Felder sind eben, andere liegen auf unterschiedlich steilen Abhängen. Auf jedem dieser Felder stehen die fünf Baumsorten in immer anderen Konstellationen. „Wir wollten sehen, wie sich die Arten untereinander in ihrem Wachstum beeinflussen. Und wir wollten sehen, wie sie in der Regenzeit das Wasser zurückhalten und es dann in der Trockenzeit abgeben.“

Für die Kanalbehörde sind die Ergebnisse von Michiel van Breugel enorm wichtig. Wenn es am Kanal Probleme gibt, dann haben die entweder mit zu wenig Wasser in der Trockenzeit oder mit zu viel Wasser in der Regenzeit zu tun. 2012 war beispielsweise ein Jahr mit ungewöhnlich viel Regen. „Es regnete in kürzester Zeit so heftig, dass das Wasser in den künstlichen Seen stieg und die Dämme bedrohte. Wenn die Dämme beschädigt werden, dann muss die Schifffahrt eingestellt werden und das bedeutet ungeheure wirtschaftliche Verluste. Bäume können Regen auch auffangen. Sehen sie sich diese Blätter an: Wenn Regen darauf fällt, bleibt er darauf liegen. Diese Feuchtigkeit verdunstet. Bis zu 20 Prozent des Regens kann so abgefangen werden.“

Mit der Frage, welche Bäume am besten Wasser verdunsten lassen, beschäftigt sich eine weitere wissenschaftliche Studie der Universität Potsdam. Genug und die richtige Auswahl an Bäumen zu pflanzen, reicht alleine bei weitem nicht aus, um den Kanal mit ausreichend Wasser zu versorgen. Für jeden einzelnen Schleusungsvorgang werden 200 Millionen Liter benötigt, die vom Kanal hinunter in den Ozean fließen.

Miroslava Herrera steht auf der Aussichtsplattform oberhalb der Pazifikbaustelle und zeigt auf den riesigen Gatunsee. „Das hier war mal ein Tal, vor mehr als 100 Jahren. Aber der Kanal brauchte ein Wasserreservoir. Zwei Flüsse füllten das Tal mit Wasser, es dauerte drei Jahre, bis das Reservoir voll war. Das ist alles Frischwasser, das durch die Schwerkraft nach unten fließt und die Schiffe bewegt.

Der Gatunsee ist etwas kleiner als der Bodensee und enthält 5,2 Kubikkilometer Wasser. Doch wenn erst die dritte Schleuse in Betrieb ist, wird das nicht reichen. In der Trockenzeit steht jetzt schon manchmal nicht ausreichend Wasser für die vorhandenen Schleusen zur Verfügung. Als der Ausbau des Kanals in Angriff genommen wurde, war zunächst überlegt worden, weitere Flächen zu fluten, um das Wasserreservoir zu vergrößern. Man entschied sich jedoch für eine andere Lösung.

Ach, wie eng war Panama! (Teil 2)

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